Verdammt gut erzählt - „Hart auf hart“ von T. C. Boyle
München (dpa) - T.C. Boyle ist kein Freund von Wohlfühlliteratur. Aber man liest seine Geschichten so fasziniert, dass man das Buch nicht weglegen kann.
Das beste Beispiel dafür ist sein neuester Roman „Hart auf hart“, gerade bei Hanser erschienen, sogar noch vor der Ausgabe auf Englisch, die erst für Ende März geplant ist. „Hart auf hart“ ist die Geschichte eines jungen Kaliforniers, der sich immer mehr in seinen Hass auf Staat und Polizei hineinsteigert.
Hinter der Fassade der Westküstenidylle lauert der Wahnsinn. Boyle (66) schildert die amerikanische Gesellschaft als fremdenfeindlich, paranoid und zerrissen. Von Anfang an ahnt der Leser, es geht nicht gut aus - und hofft trotzdem, dass es anders kommt. Aber T.C. Boyle ist ein gnadenloser Erzähler, allerdings auch ein gnadenlos guter.
Im ersten Kapitel geht Sten Stensen, ein 70-jähriger pensionierter Schuldirektor, mit seiner Frau Carolee auf Kreuzfahrt. Sie endet in einem Alptraum. Irgendwo in Costa Rica geraten die Passagiere auf Landgang an Kriminelle, die sie mit vorgehaltener Pistole ausrauben wollen. Aber da sind sie bei Sten an den Falschen geraten: Der ehemalige Vietnamkämpfer bringt den Räuber mit bloßen Händen um. Was für ein Auftakt.
Und wer an dieser Stelle denkt, der Roman gehe ganz schön heftig los, dem sei versichert: Das war noch harmlos, die Waffen werden nun immer großkalibriger, und bei den nächsten Toten fließt Blut. Aber „Hart auf hart“ ist kein literarischer Splatter-Movie. Boyle entwirft ein erschreckendes Szenario, bei dem es um die Frage geht, wie schnell Menschen, die für ihre Individualität kämpfen und gegen staatliche Kontrolle, in Gewalt abgleiten: verdammt schnell.
Ausgerechnet Adam, der Sohn von Sten Stensen, ist so einer, der sich nichts sagen lassen will, der Chinesen und Polizisten als Feinde empfindet, der nach dem Tod seiner Großmutter niemanden mehr hat, dem er traut. Und dessen Psyche schon früh einen schweren Knacks bekommen hat. In Kombination mit Drogen und Alkohol werden solche wirren Einstellungen extrem gefährlich.
Sara Jennings ist vielleicht nicht ganz so neben der Spur, aber ihr Leben droht gerade endgültig aus der Balance zu geraten, als sie Adam zufällig an der Straße aufgabelt und im Auto mitnimmt. Die beiden verbindet vor allem Sex, der Hass auf die Polizei und die Neigung zu Verschwörungstheorien. Für eine dauerhafte Beziehung ist das zu wenig. Und so kommt es, wie es kommen muss: Adam folgt seinem großen Vorbild John Colter, einem Trapper im 19. Jahrhundert, und verschwindet im Wald. Und er schießt, wenn er sich dort gestört fühlt, ohne Rücksicht auf Menschenleben.
Ist Adam ein Irrer, durchgeknallt eben? Nein, T.C. Boyle lässt seine Leser nicht so einfach davonkommen. Adam ist einer von uns. Seine Gewaltbereitschaft, sein Hass, seine xenophoben Ideen, sein Verfolgungswahn, das alles teilt er mit vielen anderen - manche davon sogar mit seinem Vater und dessen rassistischen Freunden.
Nur dass der alte Stensen als Held gefeiert wird, als er einen anderen erwürgt, während Adam zum gejagten Outlaw wird, weil er sich mit der Staatsgewalt anlegt. Am Schluss stirbt Adam im Kugelhagel der Scharfschützen, die ihm auflauern. Ein buchstäblich trostloses Ende.
In der Parallelgesellschaft, über die Boyle schreibt, leben keine Migranten, sondern Amerikaner, Menschen wie Adam, die in ihre Wahnwelt fliehen, aus der es kein Zurück mehr gibt. Insofern ist der Roman nicht nur eine spannend erzählte Geschichte über eskalierende Gewalt, es ist auch eine Analyse der amerikanischen Gesellschaft, die an den Rändern ausfasert - manchmal mit tödlichen Folgen.
T.C. Boyle: Hart auf Hart. Carl Hanser Verlag, München, 395 S., 22.90 Euro, ISBN 978-3-446-24737-6