Weshalb auch Gläubige ruhig zweifeln dürfen

Die Sehnsucht nach einfachen Wahrheiten endet oft im Fanatismus. Das Buch „Lob des Zweifels“ zeigt, dass das Hinterfragen Grundvoraussetzung für ein Miteinander ist.

Freiburg. Es ist der Traum vieler religiöser Menschen: endlich die vielen Zweifel am Glauben loszuwerden. Die Sozialphilosophen Peter L. Berger und Anton Zijderveld räumen mit dieser Hoffnung nun gründlich auf. In ihrem Buch "Lob des Zweifels" erklären sie, weshalb ein allzu sicherer Glaube für das Zusammenleben sogar gefährlich werden kann.

Leicht hat man es heute nicht mit seinem Glauben. Egal mit wem man redet oder was man liest - überall trifft man auf Überzeugungen, die so gar nicht ins eigene Weltbild passen wollen. Wie etwa der Christ, der mit dem ganz anderen Glauben seines muslimischen Arbeitskollegen konfrontiert wird. Ständig müssen Menschen ihre Meinungen und Verhaltensweisen überdenken, schreiben Berger und Zijderveld.

"Man könnte ohne große Übertreibung sagen, dass die Moderne unter einer Übersättigung an Selbstreflexion leidet. Kein Wunder, dass so viele Menschen heute ständig nervös und mit den Nerven am Ende sind."

Die fast schon logische Folge ist eine Sehnsucht nach einfachen Wahrheiten. Und diese Sehnsucht endet leicht im Fanatismus, denn wer fanatisch eine bestimmte Weltanschauung vertritt, muss nicht mehr zweifeln, schreiben die Autoren. "Fanatiker sind tatsächlich mehr mit sich im Frieden." Sie sehen sich als "wahre Gläubige", weil sie frei von Zweifeln sind.

Berger und Zijderveld machen zwei Positionen aus, in die sich Fanatiker flüchten können: Die eine ist der Relativismus, für den es keine objektive Wahrheit gibt. Die andere ist der Fundamentalismus, der sich in vormoderne Traditionen mit allgemeingültigen Werten flüchtet.

Für das praktische Leben hat beides fatale Auswirkungen, betonen den Autoren: Im Relativismus ist das Interesse eines Vergewaltigers ebenso legitim wie das seines Opfers. Der christliche Fundamentalismus würde hingegen nicht akzeptieren, dass ein Muslim in einem christlichen Land seinen Glauben praktiziert. Keine fanatisch vertretene Position kann Grundlage für ein friedliches Zusammenleben in einer modernen Gesellschaft sein.

Folglich ist der Zweifel eine Grundvoraussetzung für gesellschaftliches Miteinander. "Aufrichtiger und konsistenter Zweifel ist die Quelle der Toleranz", schreiben Berger und Zijderveld. Allerdings: Übertriebener Zweifel führt zu Verzagtheit. Es braucht also ein Gleichgewicht zwischen Gewissheit und Zweifel, ein "Klima gesunden Zweifels".

Sein ganzes Leben hat sich der 81-jährige Religionssoziologe Berger mit der Frage beschäftigt, wie sich der Verlust von Gewissheiten auf die Beziehungen zwischen Menschen und Völkern auswirkt. Dafür bekommt er im Mai den mit 50 000 Euro dotierten Leopold-Lucas-Preis der Universität Tübingen verliehen. Mit dem "Lob des Zweifels" hat er seine Erkenntnisse nun leicht verständlich für ein breites Publikum aufbereitet. Amüsant ist die Lektüre noch dazu, denn wo immer möglich veranschaulichen Berger und Zijderveld ihre Gedankengänge an herrlich pointierten Alltags-Situationen. Nach der Lektüre zweifelt man zumindest auf hohem Niveau.