Anna Netrebko und Anita Rachvelishvili begeistern in Salzburg Großes Drama - mit zwei Sängerinnen von Weltformat
Salzburg · Sobald Anna Netrebko als „Adriana Lecouvreur“ in üppiger Seide die Bühne im Großen Festspielhaus betritt, verstummen Zuschauer in Ehrfurcht und Erwartung vor der Jahrhundertstimme. Dann glitzert es.
Die langen, wallenden Kleider – in Sattgrün, dann in Orange –, die sie in der Rolle der Schauspieldiva Adriana aus dem Barock des 18. Jahrhunderts trägt, sind mit 141 288 Kristallen bestickt. Von Swarovski, deren Chefin Nadja nach der Premiere zum privaten Dinner mit der Netrebko und Ehemann Yusif Eyvazov einlud. Im Programmheft zur gleichnamigen Oper jedoch dient Annas Konterfei in schmachtender Pose, wie seit mehr als zehn Jahren, als Werbeträger für die Edelmarke Chopard.
Egal. Die Netrebkos tauchen bei den Festspielen heuer nicht nur privat auf, sondern sind auch auf der Bühne als Liebespaar zu erleben. Manche Insider mutmaßen, dass Anna erneut schwanger sein könnte (mit dem ersten Kind von Eyvazov). Und damit das russisch-aserbaidschanische Glück perfekt wäre. Bisher aber nichts als Gerüchte…
In dem veristischen Musikdrama von Francesco Cilea spielt die Netrebko die doppelte Diva. In der Realität ist sie es seit 2002 – seitdem sie wie ein Komet von Salzburg aus den Opern-Kosmos eroberte. Und als Adriana mimt sie die (vor 250 Jahren verehrte) Schauspiel-Diva. Die von der höfischen Gesellschaft vergötterte Künstlerin wird verstrickt, man ahnt es schon, in eine unglücklich endende Dreiecks-Lovestory. Sie verfängt sich in ein Gestrüpp von Intrigen und wird Opfer eines Giftanschlags ihrer Gegenspielerin, der Prinzessin von Bouillon. Letztere gesungen von der rassigen Mezzosopranistin Anita Rachvelishvili (34), die in Stimmgewalt und Präsenz mit der Netrebko (47) ebenbürtig ist. Sie überrascht mit extrem tiefen Tönen und entfacht eine immense Wucht in der Höhe, die den Zuhörer in seinen Stuhl presst. Manchmal gleicht die Stimm-Attacke der Rachvelishvili einem drohenden Knock Out beim Boxkampf. Endlich hat die Netrebko auf der Bühne einen Gegenpart, der sie herausfordert.
Die Georgierin und die Russin in einer italienisch schmachtenden Oper als Rivalinnen, die um die Gefühle des Grafen Maurizio (Yusif Eyvazov) kämpfen. Großes Drama, sehr große Bühne mit zwei Sängerinnen von Weltformat, die in diesen Partien bereits an der New Yorker Met und in der Wiener Staatsoper reüssierten. Und hier nach dem letzten Takt, in dem Adriana durch vergiftete Blumen das Leben aushaucht, lange Minuten mit Jubel und stehenden Ovationen gefeiert werden. Die Festspiele erleben mal ein Fest der Stimmen.
Und das in einer konzertanten Aufführung. Ohne Dekor. Gottlob. Denn eine solche Herz-Schmerz-Oper (mit Nebenfiguren, die zu Statisten werden) ist eh’ nur konventionell vorstellbar. Und wenn zwei Primadonnen von diesem Kaliber, die allein durch Charisma, Klasse und Noblesse die Festspielbühne füllen, wären Bühnenbilder nichts als Schnickschnack, würden ablenken von denen, auf die nur sehen wollen.
Netrebkos Stimme wird stetig reifer, sicherer, runder. In tiefen Registern wirkt sie dunkler, edler und sinnlicher, ihre Höhen leuchten und glühen noch intensiver als vor einem Jahr. Erstaunlich, wie sich die Netrebko – gerade auf dem Weg nach Bayreuth – so verausgabt und dabei unangestrengt wirkt. Bei den Wagner-Festspielen wird sie Mitte August an zwei Abenden die „Lohengrin“-Elsa singen. Auch nicht von Pappe.
Zu den Höhepunkten des Drei-Stunden-Abends zählen ihre Solo-Auftritte, in denen sie mit viel Stummfilm-Pathos und überzeichneten Posen die Gefühlswelt der Diven beschwört. Die inniglichen Duette mit Eyvazov (Maurizio), ihre Küsse, Umarmungen und Liebenschwüre elektrisieren und wirken reizvoller als bei anderen Sängern. Warum? Jeder weiß: die beiden lieben sich auch im wahren Leben. Das bekommt man nicht aus dem Kopf. Erstaunlich sicher, kraftvoll, metallisch und sauber meistert mittlerweile auch Gatte Yusif die Partie. Wenn er als Tenor auch in einer ganz anderen Liga (der soliden Großstadttheaters) anzusiedeln ist.
Eine Sensation, die selbst vornehme Festspielzuschauer vom Stuhl reißt, ist das Duell der First and Second Ladies: „Liebe ist eine Flamme, Asche die Freundschaft“ feuert Rachvelishvili, die in rasender Eifersucht an Oscarpreisträgerin und Filmdiva Anna Magnani erinnert, in Richtung der Rivalin Netrebko ab. Danach bleibt kein Auge trocken und niemand sitzen.