Auszeichnung Berliner Volksbühne ist „Theater des Jahres“

Berlin (dpa) - Tiefe Verbeugung zum Abschied: Die Berliner Volksbühne ist zum „Theater des Jahres“ gewählt worden. Frank Castorf und sein Team kamen im jährlichen Bühnenranking der deutschsprachigen Theaterkritiker auf Platz eins, wie die Fachzeitschrift „Theater heute“ mitteilte.

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Nach einem Vierteljahrhundert hat Castorf zum Ende der Spielzeit die Volksbühne verlassen, mit der er bereits im vergangenen Jahr (zusammen mit dem Berliner Gorki Theater) und im Jahr 1993 die begehrte, undotierte Auszeichnung holte. Castorfs Nachfolger ist der umstrittene belgische Museumsexperte Chris Dercon, dessen Start Anfang September die skeptische Theaterszene mit Spannung erwartet.

Für die Volksbühne stimmten laut „Theater heute“ 18 der 46 befragten Kritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Voten der Theaterexperten sind immer breit gestreut. Sie können frei aus allen deutschsprachigen Häusern wählen. Es gibt keine Nominierungsliste.

Zur „Schauspielerin des Jahres“ wurde Valery Tscheplanowa (18 Stimmen) gewählt. Sie spielte in Castorfs letzter großer, siebenstündiger Volksbühnen-Inszenierung „Faust“ die Margarete und die Helena. „Schauspieler des Jahres“ ist Joachim Meyerhoff (11 Stimmen). Er erhält die Auszeichnung für seine Rolle in „Die Welt im Rücken“ nach Thomas Melles gleichnamigem Borderline-Roman am Wiener Akademietheater.

„Inszenierung des Jahres wurde Milo Raus „Five Easy Pieces“ (9 Stimmen) über das Leben und die Verbrechen des belgischen Kindermörders Marc Dutroux - nachgespielt von Kindern und vom Publikum mit großer Betroffenheit aufgenommen. Das „Stück des Jahres“ ist Simon Stones radikale Tschechow-Überschreibung „Drei Schwestern“ (8 Stimmen) vom Theater Basel, die auch das Publikum des diesjährigen Berliner Theatertreffens begeisterte. Die „Kostüme des Jahres“ entwarf Ersan Mondtag für sein Stück „Die Vernichtung“ (11 Stimmen). Das „Bühnenbild des Jahres“ ist Ulrich Rasches Entwurf für Schillers „Die Räuber“ (9 Stimmen) am Münchner Residenztheater.

Die Berliner Volksbühne habe in ihrer „perfekt inszenierten Abschiedsspielzeit“ bei den Kritikern der diesjährigen Hitparade noch einmal nachhaltig Eindruck gemacht, so „Theater heute“. Die Volksbühne, die den Begriff „Stadttheater“ neu definierte, spalte kämpferisch die Theaterrepublik.

„Wird hier ein epochemachendes Experiment gewaltsam von einer inzwischen abgewählten Berliner Kulturpolitik beendet, oder gehört Veränderung zum Stadttheater?“, fragen die Theaterexperten mit Blick auf den Kulturkampf, der zwischen Castorf-Fans und Dercon-Befürwortern tobt. „Wird ein einmaliges Team zerrissen und durch vage Kuratorenversprechungen ersetzt? Oder braucht die Stadt wieder neue künstlerische Öffnungen und Impulse?“

Nahtlos kommt die Kritikerjury so auch vom besten Theater der Saison zum „Ärgernis des Jahres“, das sich ebenfalls rund um die Volksbühne dreht. Über nichts habe man sich in Theaterkreisen in der Spielzeit 2016/17 begeisterter, wütender und wehmütiger erregt als über Castorfs Abschied, die Pläne des neuen Chefs Dercon und die Berliner Kulturpolitik. Trauer und Wut gebe es, aber gelegentlich doch auch „Unverständnis für die unversöhnliche Haltung der bisherigen Volksbühnen-Crew gegenüber den Nachfolgern“. Zeit also, in die Zukunft zu blicken!