Theater in Potsdam Clemens Bechtel will „neues Verständnis für Migranten“
Potsdam (dpa) - Was bleibt an Verbindungen, wenn wir gehen - an Erinnerungen, Beziehungen zu Menschen oder zur Landschaft in der alten Heimat? Mit „Gehen und Bleiben“ zeigt der Berliner Regisseur Clemens Bechtel am Potsdamer Hans Otto Theater eine Sicht auf das Leben der Migranten jenseits von Integration und Fremdenhass.
Der 53-Jährige hofft auf ein neues Verständnis der Zuschauer für die Situation von Flüchtlingen im fremden Land, wie er im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur sagt.
Frage: Der Titel „Gehen und Bleiben“ verweist auf die Situation von Flüchtlingen zwischen zwei Polen - doch steht nicht bei Flüchtlingen das Ankommen im Vordergrund?
Antwort: Der Titel verweist auf die Menschen, die zu Hause geblieben sind, das ist genauso wichtig. Das spielt für die Menschen, die hierher kommen, eine zentrale Rolle. Was nimmt man mit an Ballast familiärer Verantwortung und was verändert sich durch die Trennung in den Beziehungen? Was passiert mit dem Partner oder Freunden, die man zurückgelassen hat? Aber auch mit den Dingen: mit dem Garten, den man zurückgelassen hat, oder dem vertrauten Wochenmarkt - das Zuhause.“
Frage: An wen richten Sie diese Botschaft - an die Zuschauer oder an die Politik?
Antwort: An beide, denn dies ist ein Aspekt neben dem Ankommen und der Integration, den man sich überhaupt nicht klar macht: Was es bedeutet, wenn Sie in Syrien eine Frau haben und drei Kinder und Sie hier erfahren, dass sie die nächsten drei Jahre nicht kommen können. Und Ihre Frau dann in den Sudan geht, um sich vor dem Krieg zu retten und dort allein zurecht kommen muss.
Dann hat das natürlich ganz konkrete Auswirkungen auf das Leben hier und die Politik. Was bedeutet das für jemanden, wenn der Familiennachzug erstmal gestoppt ist. Was bedeutet es ganz konkret für jemanden, wenn die Deutsche Botschaft im Sudan beschließt, wir nehmen vorerst gar keine Asyl-Anträge mehr an. Oftmals werden die Flüchtlinge hier betrachtet als angespült und ohne jegliches soziales Netz - aber das sind sie natürlich nicht.
Frage: Geht es nur um Flüchtlinge?
Antwort: Nein! Wir haben sechs Syrer dabei, aber auch Sheval aus Mazedonien, eine Russin, eine Israelin und eine Französin. Wir wollen das Thema Migration aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten, ohne das gleichsetzen zu wollen. Denn es ist etwas anderes, wenn man jederzeit zu Weihnachten oder Geburtstagen wieder nach Hause fahren kann oder wie die Flüchtlinge hier in einer Einbahnstraße sitzt.
Fragen: Die Autorin Maxi Obexer hat die Texte aus den Erzählungen des Ensembles heraus entwickelt. Spielen die Schauspieler also auf der Bühne ihre eigene Geschichte?
Antwort: Das war ursprünglich der Plan, aber da mussten wir umstellen. Denken Sie an den Mann, der seine Frau und Kinder zurücklassen musste. Für ihn war es emotional nicht möglich, das zu spielen. Er konnte es gegenüber seiner Frau und seinen Kindern nicht verantworten, das hier auf der Bühne nett zu präsentieren. Also teilweise erzählen die Schauspieler über sich, aber teilweise übernehmen auch andere ihre Rollen. Wir arbeiten in dieser Produktion nicht mit Laien, sondern mit Migranten, die Bühnenerfahrung haben.
Frage: Was wollen Sie beim Publikum erreichen - Betroffenheit?
Antwort: Verständnis! Ich würde mich freuen, wenn die Leute nach dem Abend rausgehen und sagen: Unter diesem Aspekt habe ich das Thema noch gar nicht gesehen. Es wird soviel geredet über die Flüchtlingskrise, aber ich finde, dabei wird viel übersehen. Und ich würde mir wünschen, dass diesem Aspekt mehr Beachtung geschenkt wird und wir dann mehr wissen, über deren Themen - die völlig andere sind als unsere Themen wie Unterbringung, Integration und Spracherwerb.
ZUR PERSON: Der 53 Jahre alte Clemens Bechtel aus Berlin ist freier Regisseur und vor allem für seine dokumentarischen Arbeiten bekannt. Seine Inszenierung „Staatssicherheiten“ mit ehemaligen Häftlingen aus Stasi-Gefängnissen wurde 2009 mit dem Friedrich-Luft-Preis ausgezeichnet. Bechtel sieht sich als reisender Regisseur und arbeitet in Afrika, Osteuropa, Österreich und Deutschland.