Der Mensch unter der Lupe
In Wuppertal schuf Claudia Bauer beeindruckende Bilder für Bertold Brechts Frühwerk „Im Dickicht der Städte“.
Wuppertal. Brechts Frage im "Dickicht der Städte" ist heute so aktuell wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Ist der bessere Mensch, wer skrupellos seinen Geschäften nachgeht, oder der arme Idealist? Trotzdem erschließt sich das Frühwerk, das im Wuppertaler Opernhaus Premiere hatte, erst beim zweiten Blick so richtig.
Der kalte, malaiische Holzhändler Shlink eröffnet den metaphysischen Kampf mit dem hungernden Aushilfsbibliothekar George Garga. Regisseurin Claudia Bauer jedoch besetzt den Holzhändler mit einer Frau und ändert dadurch die Grundkonstellation. Vor allem schafft es Sophie Basse nicht, die Gefühlskälte des Holzhändlers auszustrahlen. Der Wunsch Shlinks, einmal menschlich zu fühlen, ist jedoch der Auslöser für den Rollentausch. Wie mit der Lupe beobachtet Brecht, ob Garga, dem Shlink sein Vermögen schenkt, ebenso gefühllos wird oder nicht.
Splitternackt zieht sich Daniel Breitfelder aus, als Garga für Shlink aus seiner Haut schlüpft. Flaschenweise lässt er Schnaps über seinen Körper rinnen, wälzt sich in der Pfütze - der Mann ist in der Gosse gelandet. Als er dann zu Shlink zurückkommt, rutscht er wieder und wieder auf dem schmierigen Boden aus. Wunderbar körperlich spielt Breitfelder den Garga, voller Kampfesgeist und Idealismus.
Von der Seite betrachten Scheinwerfer das Bühnengeschehen, ein Schild definiert Zeit und Ort - hier folgt Bühnenbildnerin Patricia Talacko Brecht’scher Tradition. Das Kellerloch von Gargas Familie ist in den Hintergrund gequetscht, niedrig gehalten von Shlinks Kontor oben drüber. Alle Familienmitglieder Gargas werden in den Kampf einbezogen und müssen entscheiden, ob sie dem Geld oder dem Gewissen folgen.
Verklemmt und in unförmiger Kleidung steht seine Schwester Marie (Anne-Catherine Studer) im Kontor, verständnislos. Mitleidlos sieht Garga zu, wie Shlinks Männer sie mitnehmen. Befreit und recht glücklich wirkt sie später als Hure. Seine Verlobte Jane (Juliane Pempelfort) entscheidet sich sehr schnell für die käufliche Liebe. Nur die Mutter (An Kuohn) bricht aus dem Kampf aus und verlässt die Familie. Amüsant ist diese Inszenierung, mit kleinen Tänzchen, bunten Kostümen, guter Lichtregie und hervorragenden Schauspielern. Nur der Showdown zwischen Shlink und Garga funkioniert mit Frau und Mann nicht.