Berliner Volksbühne Dercon-Nachfolge: Kultursenator will sich Zeit nehmen
Berlin (dpa) - Nach der überraschenden Trennung von Intendant Chris Dercon wirbt Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) um Geduld bei der Neubesetzung an der Volksbühne.
„Wir werden uns die nötige Zeit nehmen. Denn nichts wäre verheerender, als jetzt aus Druck eine Entscheidung zu treffen“, sagte Lederer am Wochenende in Berlin. Mit Interimschef Klaus Dörr hätten sie einen erfahrenen Theatermacher, der dafür sorge, dass das Haus in ruhige Fahrwasser komme.
Um das Konzept für die renommierte Volksbühne im Berliner Osten wurde nach dem Ende der Ära Frank Castorf im vergangenen Sommer heftig gestritten. Nachfolger Dercon räumt noch vor dem Ende seiner ersten Spielzeit seinen Posten. Dem Belgier schlug seit seiner Berufung vehemente Kritik aus der Berliner Kulturszene entgegen. Dem früheren Londoner Museumsleiter wurde etwa vorgeworfen, aus der Traditionsbühne eine „Eventbude“ zu machen.
„Alle Beteiligten sind sich einig, dass die Volksbühne diverser, weiblicher, jünger werden soll“, sagte Lederer am Samstag am Rande eines Parteitags in Berlin-Adlershof. Dieser Herausforderung sei konzeptionell Rechnung zu tragen. Die Volksbühne sei auch immer ein politisches Theater gewesen, das sich mit gesellschaftlichen Problemen auseinandergesetzt habe. Daran müsse angeknüpft werden.
Die Berliner Grünen wünschen sich eine Findungskommission. „Darüber haben wir uns noch keine Gedanken gemacht“, sagte Lederer der Deutschen Presse-Agentur. Er könne sich alles Mögliche vorstellen und werde mit mehreren Menschen sprechen, etwa dem Chef des Bühnenvereins und den Beschäftigten.
Das Theater am Rosa-Luxemburg-Platz steht auch vor finanziellen Problemen. „Die Volksbühne ist nicht insolvent“, betonte Lederer. Das Problem seien auch nicht die Auslastungszahlen. Es könne in jedem Theater passieren, dass eine Zeit lang einzelne Stücke nicht gut liefen und weniger Besucher kämen. „Das hat es übrigens auch an der Volksbühne während der Castorf-Ära schon gegeben.“ Nach Medienberichten sind die Besucherzahlen teils um mehr als 50 Prozent zurückgegangen.
Es gebe aber strukturell-konzeptionelle Probleme. „Das Konzept ist nicht aufgegangen und es gab keine alternativen Ansätze. Wenn man es weiter so hätte laufen lassen, dann hätte die Gefahr bestanden, dass eine extreme finanzielle Schieflage eintritt“, sagte Lederer. Da müsse man gegensteuern. „Das haben wir getan.“
Nach Recherchen der „Süddeutschen Zeitung“ ließ sich vor allem nicht Dercons Plan finanzieren, in einem Hangar des stillgelegten Flughafens Tempelhof eine große interdisziplinäre Performance- und Theaterspielstätte zu errichten. Diese sollte unter der Dachmarke Volksbühne firmieren. Das habe Dercon mit dem damaligen Regierenden Bürgermeister und Kultursenator Michael Müller (SPD) so abgesprochen. In einem Interview habe sich Dercon diese Woche noch bitterlich über das Schweigen Müllers zu der immer schwierigeren Lage an der Volksbühne beklagt.
Mit den verfügbaren Ressourcen könne der Spielbetrieb weitergehen. „Die Volksbühne wird nicht morgen zugesperrt“, betonte Kultursenator Lederer. „Es gibt keinen Grund für Alarmismus. Wir werden uns die Zahlen jetzt genau angucken.“ Er wünsche sich, dass im Haus und im Diskurs wieder Besonnenheit und Ruhe einkehrten. „Die Künstler, die vertraglich gebunden sind, müssen willkommen geheißen werden. Es wird auch die Solidarität im Theaterbetrieb insgesamt brauchen.“
Die Senatskulturverwaltung hatte am Freitag erklärt, Lederer und Dercon hätten sich einvernehmlich verständigt, die Intendanz mit sofortiger Wirkung zu beenden. Nach Informationen des „Tagesspiegel“ hat Lederer Dercon zum 30. September gekündigt und sofort freigestellt.
Ob Dercon eine Abfindung bekommt, wollte Lederer nicht sagen. „Wir haben uns einvernehmlich getrennt, alles weitere ist im Augenblick nachrangig“, sagte er auf eine entsprechende Frage in einem Interview mit der „Berliner Zeitung“.
Die Volksbühne hatte für Fans Kultstatus. Andere riefen nach Erneuerung, nachdem Frank Castorf von 1992 bis 2017 als Intendant das Sagen hatte. Theatermacher Claus Peymann machte am Freitag die Politik verantwortlich für das Scheitern von Dercon - in allererster Linie den damaligen Regierenden Bürgermeister und Kultursenator Klaus Wowereit und seinen Nachfolger im Amt, Müller.