Die für Demokratie kämpfte
Die Erinnerungen an die große Dame der deutschen Publizistik Marion Gräfin Dönhoff ist in diesen Tagen lebendiger denn je.
Düsseldorf. Als Willy Brandt im Jahr 1979 Marion Gräfin Dönhoff bat, für die Sozialdemokratie als Bundespräsidentin zu kandidieren, lehnte die Zeit-Herausgeberin ab und schlug stattdessen den Christdemokraten Richard von Weizsäcker vor. Die parteilose Publizistin schaute nicht aufs Parteibuch, sondern auf die Person.
Knapp 20 Jahre später bescheinigte Helmut Schmidt "der Gräfin", sie wäre durchaus eine bedeutende Bundespräsidentin geworden. Aber auch ohne Titel und Ämter gehöre sie in eine Reihe mit Theodor Heuss, Heinemann und Weizsäcker. "Sie alle haben für uns Deutsche mit persönlicher Autorität die Moral in der Politik vorgelebt."
Tatsächlich hatte Marion Dönhoff in der Auseinandersetzung mit den restaurativen Tendenzen der Adenauerzeit ganz entscheidend Anteil am Aufbau eines liberalen Rechtsstaates. Zusammen mit Rudolf Augstein gehört sie zu den bedeutendsten Publizisten der Nachkriegszeit. Anders als der "Spiegel", Augsteins "Sturmgeschütz der Demokratie", bevorzugte sie in der "Zeit" die leiseren, aber nicht weniger einflussreichen Töne.
Ihr Weg von der adligen Konservativen zur liberalen Vorkämpferin war lang und umspannt fast ein volles Jahrhundert. Am 2. Dezember 1909, heute vor 100 Jahren, auf dem Familienschloss Friedrichstein bei Königsberg geboren, hatte sie schon während ihres Studiums in Berlin Kontakt zu kommunistischen Gruppen.
Während des Krieges bewegte sie sich in der Nähe des Kreisauer Kreises und der Attentäter des 20. Juli 1944. Nach ihrer Flucht aus Ostpreußen erschien am 21. März 1946 ihr erster Artikel in der "Zeit". Schon 1952 führte sie das Politikressort, war von 1968 bis 1972 Chefredakteurin, um dann bis zu ihrem Tod am 11. März 2002 die "Zeit" mehr als 30 Jahre als Herausgeberin zu leiten.
In dieser Zeit hat sie journalistische Maßstäbe gesetzt und die liberale Ausrichtung des Blattes - auch gegen Widerstände aus der eigenen Redaktion - durchgesetzt. Sie unterstützte dabei aktiv und voller Überzeugung die Ostpolitik Willy Brandts. Ihr persönlicher, fast schon literarischer Stil, der auch die oft verpönte Ich-Form nicht scheute, wurde zum Markenzeichen.
Prägend für Marion Dönhoff war ihre lebenslange Auseinandersetzung mit Preußen. Der Januskopf der deutschen Geschichte: das Preußen, in dem in der Person Friedrich des Großen Aufklärung und Absolutismus eine Verbindung eingehen und auf das sich noch die Verschwörer des 20. Juli berufen; daneben der aggressive Militärstaat, dessen Tradition über den wilhelminischen Untertanenstaat bis zum "Tag von Potsdam" 1933 reicht.
Diese Spannung zwischen Geist und Macht, zwischen Maß und Maßlosigkeit blieb ihr großes Thema, dem sie mehrere Bücher widmete. "Toleranz aus Vernunft" - diese preußische Maxime galt auch für Marion Dönhoff. Ihre eigene Beteiligung am 20. Juli ist unter Historikern bis heute umstritten. Sie musste sich sogar den Vorwurf der "Selbstmystifikation" gefallen lassen.
Der so verhängnisvolle Januskopf Preußens zeigte sich selbst in ihrer Familie: Zwei ihrer Brüder dienten in NSDAP und Gestapo bis zu Hitlers letztem Tag.
In ihrem Buch "Um der Ehre willen" hat Marion Dönhoff 1994 ihrem Cousin Heinrich von Lehndorff und sieben weiteren Verschwörern des 20. Juli ein literarisches Denkmal gesetzt. Auch wenn die Schande der NS-Zeit zu groß und die Ehre Deutschlands nicht mehr zu retten war und der alliierte Kontrollratsbeschluss vom Februar 1947 die Auflösung Preußens verfügt habe, bleibe, so Dönhoff, das Verdienst der Männer des 20.Juli: "Aber das Kreuz, das sie auf Preußens Grab gesetzt haben, leuchtet hell aus der Dunkelheit dieser Jahre."