Dominique Mercy: „Man lädt sich ganz neu auf“
Dominique Mercy, Tänzer und künstlerischer Leiter des Tanztheaters Wuppertal, über das lange Gastspiel in London.
Herr Mercy, wie geht es Ihnen nach dem fünfwöchigen Gastspiel in London?
Dominique Mercy: Gut, wunderbar — es ist so energetisch (lacht), man lädt sich ganz neu auf.
Sie sind nicht erschöpft? Als einer der künstlerischen Leiter mussten sie die ganze Zeit den Überblick behalten, außerdem sind sie in acht der zehn Stücke aufgetreten.
Mercy: Ich bin leider nur in sechs Stücken aufgetreten. Ich war vorher nicht sicher, ob ich „Agua“ und „Wiesenland“ hier aus zeitlichen Gründen würde tanzen können, deshalb habe ich die beiden Rollen bei der Vorbereitung an Pablo Aran Gimeno weitergegeben — und die wollte ich ihm auch nicht wieder wegnehmen. Es ist ja wichtig, dass die jüngeren Tänzer in diese Rollen hineinwachsen.
Reagiert das Publikum in London auf andere Dinge als das in Wuppertal?
Mercy: Das Publikum ist überall ein bisschen anders. In London ist der Unterschied, dass die Leute unsere englischen Textpassagen zu hundert Prozent verstehen und damit noch aufmerksamer sind und andere Assoziationen verbinden können als die Wuppertaler. Insgesamt ist das Publikum hier sehr warm, das gibt einem immer wieder Lust und Kraft weiterzumachen. Es ist auch unglaublich, wie viele Leute nach den Vorstellungen kommen und erzählen, was sie schon alles von uns gesehen haben. Das ist sehr ermutigend, dafür sind wir sehr dankbar.
Hinter diesem Aufführungs-Marathon steckt eine ausgefeilte Logistik, damit die Bühnenbilder aus 45 Lastwagen zum passenden Zeitpunkt im Barbican Theater und im Sadler’s Wells aufgebaut werden können. Hat alles geklappt?
Mercy: Es ist erstaunlich, wie organisch das ging. Es gab nur ein paar kleine Verspätungen, bei „Nefes“ hatten wir mal zu wenig Wasserdruck für die Dusch-Szenen. Aber das konnten wir rechtzeitig lösen. Von den Requisiten bis zum Licht haben unsere Techniker wirklich wunderbar gearbeitet. Man stellt sich ja erst gar nicht vor, was es bedeutet, wenn man nur so kurze Zeit für den Aufbau hat. Zum Beispiel mussten sie die große Mauer in „Palermo, Palermo“ anders bauen als sonst. Die muss nämlich genau die richtige Feuchtigkeit haben, damit es nicht furchtbar staubt, wenn sie einstürzt.
Wird Ihnen das Gastspiel nicht zu lang?
Mercy: Gar nicht. Es ist so schnell vorbei. Es ist wie eine wunderbare Speise, die man einen Tag lang kocht und die in einer halben Stunde weggenossen ist.
Was passiert nun?
Mercy: Es gibt schon eine gewisse Müdigkeit, zugleich ist die Energie voll da. Wobei — ich habe gut reden, ich war ja nicht in jeder Vorstellung auf der Bühne. Insgesamt hält es sich wohl die Waage zwischen einer Traurigkeit, dass es schon zu Ende ist, und einer Erleichterung, dass jetzt der Urlaub kommt.
Wie ist Ihre Bilanz: Sagen Sie: „nie wieder“ oder „och, das geht ja“?
Mercy: Eine Formulierung wie „och, geht ja“ wird der Sache nicht gerecht. Es ist ein unglaubliches Erlebnis. Es ist eine Riesenbereicherung und Bestätigung, weil wir nicht wussten, ob das überhaupt möglich ist. Und das gibt einem Mut und Lust, so etwas wunderbar Verrücktes noch mal zu machen. Aber weil dahinter ein Riesenapparat und ein immenser Aufwand steckt, liegt das nicht nur an uns.
Das Gastspiel in London war das letzte Projekt, das Pina Bausch noch selbst angestoßen hat. Wenn sich die Compagnie am Montag nach der letzten Vorstellung im Sadler’s Wells verbeugt — ist das wieder ein Stück Abschied von ihr?
Mercy: Ich möchte nicht in die Richtung denken. Das fühle ich auch nicht. Es hat wohl ein bisschen was davon — und auch nicht. Pina ist so anwesend, die ganze Zeit. Alles, was die Compagnie macht, hat immer mit Pina zu tun. Es schwingt immer mit, wie sie in Wuppertal für den Tanz gekämpft hat und erreicht hat, dass er da so lebendig ist. Da haben wir noch viel zu tun, dass es so bleibt.