Ein Nomade als Gewinner

Mit Jean-Marie Gustave Le Clézio wird ein Außenseiter der Szene ausgezeichnet.

Stockholm/ Paris. Der Literaturnobelpreis 2008 geht überraschend an den französischen Romanautor Jean-Marie Gustave Le Clézio. Die Schwedische Akademie hat damit zum ersten Mal seit 23 Jahren wieder einen in Frankreich geborenen Schriftsteller gewürdigt.

Die Jury begründete die Auszeichnung für den außerhalb der Literaturszene wenig bekannten Autor damit, dass Le Clézio ein "Verfasser des Aufbruchs, des poetischen Abenteuers und der sinnlichen Ekstase" sei.

Der 68-jährige Autor reagierte "gerührt und dankbar" auf den mit zehn Millionen Kronen (eine Million Euro) dotierten Nobelpreis. "Das ist eine mutige Entscheidung der Jury", sagte Le Clézio am Nachmittag in Paris auf einer Pressekonferenz mit mehr als 100 Journalisten im Verlagshaus Gallimard.

"Ich weiß nicht, ob ich den Nobelpreis überhaupt verdient habe", fügte er bescheiden hinzu und sprach auch von "Glück" angesichts sehr guter anderer Autoren. Mit dem Preisgeld will er seine Schulden bezahlen, kündigte Le Clézio an.

Der Schriftsteller, der zurzeit in den USA lebt, sprach von einer Ehre auch für Mauritius. Denn er habe sowohl die französische als auch die mauritische Staatsbürgerschaft. Seine Vorfahren waren im 18. Jahrhundert aus der Bretagne ausgewandert und fanden eine neue Heimat auf der afrikanischen Insel Mauritius im Indischen Ozean, östlich von Madagaskar gelegen. Le Clézio lebte selber lange auf Mauritius.

In seinen zumeist autobiografisch geprägten Romanen wie "Der Afrikaner", "Wüste" oder "Revolutionen" und versetzt Le Clézio seine Leser oft in fremde, ferne Welten. Seine Kritik an Zivilisation, Korruption und Umweltzerstörung geht mit der Suche nach dem Ursprünglichen einher. Der 1940 in Nizza geborene Autor sei "der Erforscher einer Menschlichkeit außerhalb und unterhalb der herrschenden Zivilisation", erklärte die Akademie.

Jury-Sprecher Horace Engdahl meinte: "Le Clézio ist ein Kosmopolit, ein Nomade. Er gehört mehreren Kulturen an und hat große Teile seines Lebens ganz woanders gelebt als in Europa." Insofern sei der Franzose kein "typisch europäischer Autor". Andererseits sei sein Bestreben, fremde Kulturen zu verstehen und intensiv zu beschreiben, "typisch europäisch".

In Deutschland ist Le Clézio wenig bekannt, auch wenn zahlreiche Werke übersetzt wurden. Selbst der Literaturkritiker Marcel Reich- Ranicki musste passen. Seine Kollegin Sigrid Löffler sprach von einer "einigermaßen bizarren Wahl". Le Clézios Romanen bescheinigte sie "Monotonie und Langweiligkeit". Das habe viele Leser und auch sie selbst immer abgeschreckt.

An einen gebürtigen Franzosen war der berühmteste Literaturpreis der Welt zuletzt 1985 gegangen, als Claude Simon ausgezeichnet wurde.

Aus Sicht des deutschen Buchhandels ist die Preisvergabe ein "Signal", über den Neuerscheinungen die Schätze des Bestandes nicht zu vergessen. Der Buchhandel vergesse hervorragende Werke wie die Bücher Le Clézios zu schnell, sagte Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. "Da muss erst ein Preis kommen, um in Erinnerung zu rufen, was wir alles an großartigen Texten haben."