Episoden aus dem heutigen Serbien
Srbljanovics Stück „Heuschrecken“ wird am Theater Krefeld kaputt-inszeniert.
Krefeld. Belgrad dürfte für Schriftsteller einer der spannendsten Orte der Welt sein. Hier holen die Jungen jene Jahre nach, die sie im Krieg verloren haben, während die Älteren ihre Wunden lecken oder ihre Schuld ertränken. Slobodan Milosevic hat seine Gefechte aus den Pensionsfonds seines Volkes finanziert und nichts als Armut und Missgunst hinterlassen. Wer hier keinen Stoff für große Dramen findet, sollte den Job wechseln.
Die Dramatikerin Biljana Srbljanovic, geb. 1970, schreibt seit rund 15 Jahren mit wachem Auge und klugem Kopf die Tragödie Serbiens nieder. Ihr Stück "Heuschrecken", das am Samstag in Krefeld Premiere feierte, ist für Belgrad das, was die Filme "Short Cuts" und "Magnolia" für Los Angeles waren: Eine Reihe berührender, brutaler und bissiger Episoden wird zu einem präzisen Gesellschaftsbild verknüpft.
Der Autorin geht es dabei vor allem um die Kluft zwischen den Generationen: Fredi (Adrian Linke) und Dada (Anja Barth) wollen ihren demenzkranken Vater (Frank Burkhard) an der Autobahn aussetzen, Dadas Mann Milan (Christopher Wintgens) will endlich an das Vermögen seines Vaters (Joachim Henschke) gelangen. Diese und weitere Handlungsstränge entladen sich bei einem Grillabend am Ende des Stücks in purem Hass.
Leider hat der Zuschauer zu diesem Zeitpunkt schon jedes Interesse verloren. Denn die Regisseurin Petra Luisa Meyer lässt nicht die emotionale Härte der Vorlage wirken, sondern inszeniert das Stück systematisch kaputt. Sie lässt Srbljanovics Regieanweisungen laut vorlesen, teils von Milan, teils von einem ganzen Sprechchor. Das ist etwa so, als führe man ein angeregtes, vertrautes Gespräch, und daneben sitzt Reinhold Beckmann und kommentiert das Ganze. Im Hintergrund steht noch eine Balkan-Blaskapelle und setzt an markanten Punkten einen Tusch ab. Kurzum: ein verheerender Abend.
Das ist umso bedauerlicher, weil Meyer alle Trümpfe in der Hand hält. Neben dem Stück mit seinen prägnanten Dialogen und Figuren verfügt sie über ein atmosphärisches Bühnenbild (Martin Rottenkolber) mit enormer Breite und Tiefe. Hinter einer Leinwand, auf der Meyer wahllos Videoschnipsel einstreut, verbirgt sich eine Art kleine Nebenbühne, der perfekte Spielraum für kleine, intime Szenen. Doch weder der Kraft der Wörter noch der Magie des Ortes scheint Meyer über den Weg zu trauen.
Selbst ihr Ensemble muss das, was es subtil spielen könnte, vom Erzähler plump erklären lassen. Dieser Künstlichkeit ist sich die Regisseurin natürlich bewusst, doch ihr Ansatz passt nicht zum Stück: hier die Wut der betrogenen Kriegskinder, dort die überhebliche Distanz aus dem bequemen Fernsehsessel. Meyer wollte kein Kammerspiel, doch es gibt andere Wege, eine große Bühne zu füllen.
Sogar mit Stille ist das möglich, wie das älteste Ensemblemitglied beweist: Frank Burkhard als demenzkranker Alter spricht kaum, er sitzt nur da mit einem schauderhaft leeren Blick, der sich tiefer einbrennt als alles andere. Im aufgeblasenen Brimborium der Inszenierung sind diese Augen das einzig Echte. 2 Std., 10 Min, inkl. Pause, , 4., 14., 19., 26. Juni. Karten-Tel.: 02151/805125 Inszenierung: nnnnn Bühne: nnnnn Ensemble: nnnnn