Fabian Hinrichs' Seelen-Solo in Hamburg uraufgeführt
Hamburg (dpa) - „Hallo, kommt rein!“, ruft eine einsame Stimme immer wieder von der fast leeren Bühne, „Hallo, kommt rein.“
Noch während die Besucher im Deutschen Schauspielhaus Hamburg ihre Plätze einnehmen, klingt an, worum es an diesem Abend geht: um existenzielles Alleinsein und die Sehnsucht nach Gemeinschaft. Doch bevor es für den Einzelnen gerade heute zu Verbindungen in Liebe oder auch nur in Sympathie und Respekt kommen kann, muss seine Seele meist erst einmal runter von einem Irrweg - sie muss sich entwickeln, vertiefen und runden. So legt Schauspieler Fabian Hinrichs seine Soloperformance „Ich. Welt. Wir. Es zischeln 1000 Fragen“, die er mit Jürgen Lehmann konzipiert hat, als tief religiöse Suche an - im schnodderigen, direkten Ton unserer Zeit.
Bei der Uraufführung des kurzen Stücks über Veränderungsmöglichkeiten des einzelnen Menschen am Samstagabend erhielt Hinrichs viel Beifall - und reichlich Gelächter. Wobei nicht klar wurde, inwieweit die Inhalte beim überwiegend jungen Szenepublikum tatsächlich ankamen. Der derzeit sehr gepriesene Berliner Mime, Jahrgang 1976, der 2010 für eine René-Pollesch- Interpretation zum „Schauspieler des Jahres“ gewählt wurde und Ende 2012 im Münchner „Tatort: Der tiefe Schlaf“ als Ermittler Gisbert Engelhardt fesselte, zeigt sich hier in der für ihn typischen Ausdrucksform: Archaische Gefühle und Erfahrungen schreit er in einem wahren Furor und voll dreistem Witz heraus. Es sind Wahrheiten, die eigentlich selbstverständlich sind, jedoch im Zeitgeist längst verloren gegangen scheinen.
Das Ungenügen der Seele an ihrem eigenen Zustand - hier wird es zum Programm. Das verdorrte Leben und die unterschwelligen Bedürfnisse derer, die sich bloß an Rationalität und Berechnung ausrichten - all dem gibt Hinrichs seine Stimme. „Wir haben uns tot gedacht“, ruft er das Publikum zu einer eher mystischen, vielleicht pantheistischen Weltsicht. Zu spirituellen Klängen des Sitarspielers Florian Pittner rast er bei vollem Körpereinsatz rastlos über die Bühne (Raum: Jürgen Lehmann). Pappköpfe von Adorno, Freud, C. G. Jung, Nietzsche, Hildegard von Bingen, Gründgens' Mephisto umrahmen seine Einlassungen ebenso wie ein großes Gemälde, das in kraftvollem Rot-Schwarz den Kosmos mit Planeten und schwarzen Löchern abbildet.
„Wir sind in die Falle gegangen“, ruft der Autor und Akteur - er will sein Publikum aufrütteln. Sätze wie „Ich schaue den Glanz, ich schaue die Schönheit, ich schaue in das Licht der Gnade“ erinnern dagegen an alte religiöse Verheißungen. „Ich habe eine Seele - und nicht nur eine Strategie“, verkündet er und fordert seine Zuschauer auf, aufzustehen und „Gemeinde“ zu bilden.
Und dann wird es ganz lehrhaft: „Die Geschichte der Menschheit ist eine Individuationsgeschichte.“ Schließlich steht Hinrichs, der gerade den so reinen wie weisen Tor gegeben hat, in einem gleißenden Lichtstrahl von oben und blickt in die Tiefe.