„Fluch der Obsession“: Premiere eines Internet-Krimis

München (dpa) - In der vermeintlichen Anonymität des Internets ist alles möglich: Das Münchner Residenztheater hat mit dem Stück „Die Netzwelt“ eine ebenso apokalyptische wie realitätsnahe virtuelle Schreckenswelt auf die Bühne gebracht.

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Am Samstagabend gab es im Cuvilliéstheater viel Applaus für die Erstaufführung des schockierenden Internet-Krimis der US-amerikanischen Autorin Jennifer Haley.

Regisseurin Amelie Niermeyer inszeniert die preisgekrönte Geschichte über eine dunkle Halbwelt, einen virtuellen Club, in dem die Kunden sich unter fremder Identität ihre geheimsten Wünsche erfüllen können, als Blick in den Abgrund.

Er habe einen Ort erschaffen, „an dem ich ich selbst sein kann“, sagt ein Mister Sims (Norman Hacker), der sicher nicht zufällig so heißt wie das Computerspiel, in dem die Teilnehmer virtuelle Versionen von sich selbst erfinden. „Ich trage den Fluch der Obsession in mir“, sagt er. Und fügt als Rechtfertigung hinzu: „Es sind nur Bilder, es hat keine Konsequenz.“

In seiner Domain gibt er Pädophilen die Möglichkeit, ihre Perversionen zumindest virtuell auszuleben - an kindlichen Illusionen wie Iris (gruselig, eindringlich: Schauspielstudentin Valentina Schüler), die ihren Kunden die Möglichkeit gibt, „zu vergessen, wer man zu sein glaubt und entdecken, wer man sein könnte“.

Die Bilder, die dabei auf der Bühne entstehen, sind nur schwer zu ertragen. Eine Figur mit Osterhasenmaske und bedrohlich leuchtenden roten Augen wird zum Symbol des virtuellen Kinderschänders, und Sims sagt mit bitterbösem Zynismus: „Echte Kinder sind schwer zu bekommen heutzutage. Es ist ja nicht so, als würden sie noch draußen spielen.“ Und Iris fragt einen Kunden: „Vielleicht möchten Sie mit der Axt anfangen?“ Auch Kindermord hat in der Netzwelt keine Konsequenzen.

Ermittlerin Morris (etwas blass: Juliane Köhler) will das ändern und versucht, Sims, der sich Papa nennt, mit Hilfe eines seiner User endgültig zu überführen. Kunstvoll verschwimmen dabei Realität und virtuelle Kunstwelt. Morris sagt: „Die Netzwelt wird zur Bezugsebene unseres Daseins.“

So stehen die Figuren an einem Abgrund und immer vor der Frage, ob sie „die Fesseln unserer Körperlichkeit“ ablegen und ganz in die „Netzwelt“ eintauchen sollen. In der Realität wären sie dann nur noch ein Schatten ihrer selbst. Nur einmal in gut anderthalb Stunden erlaubt Regisseurin Niermeyer einen kleinen, entspannenden Lacher, als Morris Sims gegenüber beteuert: „Nein, ich habe noch nie mit einem Elf gefickt.“

„„Die Netzwelt“ verhandelt die Kollision von Technologie und menschlichem Begehren im virtuellen Zeitalter“, schreibt das Theater. „Die Autorin fragt nach Ethik und Verantwortung sowie der eigentlichen Konsequenz moderner Technologien und wagt einen verstörenden Blick in eine Zukunft, die längst begonnen hat.“