Hollywood in Recklinghausen - Cate Blanchett bei Ruhrfestspielen
Recklinghausen (dpa) - Cate Blanchett interpretierte Botho Strauß - und das Publikum in Recklinghausen war nach der Aufführung von „Groß und Klein“ begeistert. Man konnte Blanchett ansehen, dass sie das überbordende Willkommen im Großen Festspielhaus am Freitagabend berührte.
Der Filmstar hat nicht nur auf der Leinwand, sondern auch auf der Bühne ganz besondere Qualitäten, der Enthusiasmus des Ruhrfestspiel-Publikums war wohl begründet. Cate Blanchett (43, „Elisabeth“, „Herr der Ringe“) steht nicht nur in Hollywood vor der Kamera; in ihrer Heimat Australien leitet sie auch mit ihrem Mann die Sydney Theatre Company. Mit Benedict Andrews als Regisseur erarbeitete das Ensemble ein deutsches Stück, eben Botho Strauß' „Groß und klein“, und ging damit auf Tournee: Paris, London, Wien, Recklinghausen.
Hier kennt man eine wie die Heldin des Stücks, Lotte-Kotte aus Remscheid-Lennep, aus eigener Anschauung. Es ist seltsam, wenn sie in Gestalt von Cate Blanchett auf einmal Englisch spricht - aber sie ist durchaus wiederzuerkennen. Es hat etwas Berührendes, wenn Lotte-Kotte, nun in der ganzen Welt bekannt, von Down Under zurückkommt.
Blanchett spielt sie gleich in der ersten Szene, in Marokko auf der schrecklichen Fahrt mit den zerstrittenen Reisemitgliedern, als eine Frau mit dem Herz auf dem rechten Fleck. Sie spricht und spielt den großen Eingangsmonolog zupackend - und voller Humor. Im englischsprachigen Theater erwartet das Publikum, in den ersten drei Minuten zum ersten Mal zum Lachen gereizt zu werden - Cate Blanchett braucht dreißig Sekunden.
Sie packt ganz anders zu als Edith Clever, die bei der von Peter Stein inszenierten Uraufführung 1978 in Berlin Lotte verkörperte. Clever betonte das Rätselhafte der Figur, Lottes Schwermut. Blanchett spielt eine Frau, die guter Dinge ist, sie hat etwas vom Mutwilligen des jungen Mädchens bewahrt, das sie so liebenswert macht. Und sie ist voller Sehnsucht nach Gefühlen, Mitmenschlichkeit, ihre Lotte-Kotte will helfen, zupacken.
Die Stationen, die sie auf ihrer Fahrt durch Deutschland durchreist, treiben ihr ihren Optimismus aus. Ihr Mann will sich scheiden lassen, weil er eine Jüngere gefunden hat, auch ihr Bruder mag nichts von ihr wissen. Botho Strauß hat realistische und überhöhte Bilder gefunden, um die deutsche Gesellschaft zu zeigen, die in ihrem eigenen Egoismus schmort und dabei alle Kommunikationsfähigkeit, ihre Mitmenschlichkeit verliert.
Am Ende ist Lotte isoliert - Botho Strauß wirkt, schaut man sich das Stück heute wieder an, wie ein Prophet. All die zerstörerischen Entwicklungen hin zu immer zügelloserem Eigennutz haben genau zu jenem Ergebnis geführt, vor dem Strauß gewarnt hat: Kreisen um sich selbst und Unfähigkeit zur Empathie.
Blanchett zeigt, wie Lotte ihre unbändige Lebenskraft und -freude nach und nach verliert. Dann verlöschen die Scheinwerfer - und der Schlussapplaus lässt das Festspielhaus erzittern.
Benedict Andrews inszeniert rasch mit starkem Zugriff. Während die Uraufführung fünf Stunden dauerte, ist die australische Fassung nur halb so lang. Das Subtile ist Andrews' Sache nicht; das Ensemble spielt seinem Star zu - diese Aufführung ist Startheater, alle anderen Schauspieler werden sträflich vernachlässigt. Das ist die Schwäche - aber Blanchett stellt sich in den Dienst des Schauspiels.
Die Recklinghäuser haben gut daran getan, Cate Blanchett und die Sydney Theatre Company einzuladen; die Australier haben dem Programm der Ruhrfestspiele Glanz und Tiefe verliehen.