"Maß für Maß": Es regiert die moralische Verkommenheit
Karin Beiers Wiener inszeniert das Shakespear-Stück „Maß für Maß“ am Kölner Schauspiel. Es ist das erste Stück an der neuen Wirkungsstätte der Intendantin.
Köln. Ohne Shakespeare wäre ihre Karriere vermutlich nicht denkbar gewesen. Noch als Studentin hat Karin Beier in Köln die Dramen des Elisabethaners inszeniert und in Düsseldorf später einen multiethnisch besetzten "Sommernachtstraum" herausgebracht. Nun stellte die Kölner Intendantin mit "Maß für Maß" ihren ersten Shakespeare an neuer Wirkungsstätte vor - eine Inszenierung, die im April 2007 bereits am Wiener Burgtheater Premiere hatte. Der Transfer konnte dem Lokalkolorit wenig anhaben, denn bereits im Foyer bekommt der Zuschauer ein Wienerisch-Kölsches Glossar und eine Dialekteinführung. Schließlich spielt Shakespeares 1603 entstandenes Stück in einem fantastischen Renaissance-Wien. Dort herrscht Herzog Vincentio, den Tilo Werner als alerten Politprofi mit Tendenz zur Volksverachtung spielt. Um seinen Stellvertreter Antonio zu prüfen, wirft er sich vorübergehend in das priesterliche Inkognito eines Freizeit-Savonarola und wandelt durch die Szene. Antonio entpuppt sich als blondierter Tugendterrorist, der mit einer Politik der brutalen Sexualhygiene das Lotter-Wien auszumisten versucht. Nicholas Ofczarek im Nadelstreifenanzug stattet diesen Robespierre mit den kindlich-pathologischen Zügen eines Peter Lorre aus. Als jedoch die Nonne Isabella (Julia Wieninger) um das Leben ihres verurteilten Bruders bittet, erpresst der Unterleibsverächter Gnade gegen Fleischeslust. Man mag diesen Konflikt für antiquiert halten. Doch die mediale Personalisierung von Politik macht für die Volksvertreter die Spannung zwischen individueller Moral, Willfährigkeit und Öffentlichkeit zu einem alltäglichen Spiel- und Minenfeld. Dies wird in Karin Beiers Inszenierung jedoch kaum ausgelotet. Vincentios feige Moraldelegation an Antonio bleibt genauso unterbelichtet wie dessen Gutgläubigkeit. In Shakespeares Komödie löst sich der Konflikt natürlich durch eine Intrige Vincentios. Doch die eigentliche Komik liegt in den Volksszenen. Und hier steckt eine weitere Schwäche der Kölner Inszenierung. In Thomas Dreißigackers Wandgeviert mit seinen Resopaltischen regiert die moralische Verkommenheit als wienerisches Prekariatsstupor. Von Shakespeare keine Spur. Natürlich singen Burgschauspieler wie Regina Fritsch mit quäkendem Hurendiskant oder Juergen Maurer als Testosteronbrüller kunstvolle Schmäharien. Doch mehr als ein karnevaleskes Kalauer für Kalauer kommt dabei nicht hinaus. Auff.: 19. + 20. Januar, Karten unter Tel.: 0221/221-28400.