Medea im Geburtskanal: Kennedy-Stück bei der Ruhrtriennale
Duisburg (dpa) - Theater sollte man nicht erwarten, wenn man ein Stück der gefeierten deutschen Regisseurin Susanne Kennedy besucht.
Kennedy, die schon Erfolge beim Berliner Theatertreffen feierte und demnächst zum künstlerischen Team des umstrittenen Chris Dercon an der Berliner Volksbühne gehört, bricht mit so ziemlich allen Traditionen der Bühne. Und am Ende darf man noch nicht einmal klatschen.
Bei der Ruhrtriennale versucht sich Kennedy dieses Jahr in einer Koproduktion mit den Wiener Festwochen am Medea-Mythos. Die Uraufführung ihres im Programmheft als „Schauspiel“ bezeichneten Stücks „Medea.Matrix“ geriet am Donnerstagabend zu einer seltsamen Video-Performance aus Frauen-Klischees, Geburtsstöhnen, Waldesrauschen und Internet-Fragestunde für Regelbeschwerden.
Das antike Euripides-Drama über die Königstochter Medea, die mit ihrem Geliebten Jason das Goldene Vlies von ihrem Vater raubt, aus ihrer Heimat flüchtet, von Jason wegen einer anderen verlassen wird und am Ende ihre Kinder tötet, ist allenfalls die Folie für das von Kennedy und Markus Selg konzipierte Stück.
Dabei fängt in der Gebläsehalle eines alten Stahlwerks in Duisburg alles ganz vielversprechend an. Die Zuschauer werden, bevor sie Platz nehmen, durch einen Parcours um die Bühne herum geführt. Sie begegnen puppenähnlichen Frauen - oder Männern? - mit weißen Masken, dicken schwarzen Zöpfen und langen Gewändern mit aufgedruckten Frauen-Akten. Die Statisten bilden ein lebendiges, orientalisch anmutendes Gemälde und schwenken in blauen Plastikschüsseln Eier. Eine Geräuschkulisse aus Rasseln, Bienensummen und Wasserrauschen schwillt an, Wald ist rundherum auf Video-Projektionen zu sehen, aber auch Hyänen, die Fleisch zerreißen.
Nach einer halben Stunde sitzen dann endlich alle auf ihrem Platz, und in der Mitte der Bühne erhebt sich Medea, gespielt von Birgit Minichmayr, auf einem trapezförmigen Podest. Die folgende Stunde wird Minichmayr, eine der besten Schauspielerinnen im deutschsprachigen Raum, komplett unbeweglich im schwarzen Zweiteiler dastehen und Euripides und andere Texte mit Mutter- und Geburtsbezug sprechen.
Minichmayr (39) hat schon mit 25 Jahren „Medea“ am Burgtheater in Wien gespielt. Das Kennedy-Stück sei für sie „wie eine Fortsetzung“, sagt sie in einem Interview der Ruhrtriennale. Jetzt gehe es in eine „ganz andere Dimension“. Sie finde, das sei eine „sehr tolle Fassung, bestimmt für viele irritierend“.
Eine Handlung hat „Medea.Matrix“ nicht. Vielmehr ist es eine assoziative Aneinanderreihung von Texten über Frauen aus der Bibel, von Euripides, Nietzsche, Horkheimer, Platon und Sartre sowie abstrusen wissenschaftlichen Theorien des 19. Jahrhunderts über die Frau. Hinzu kommen Ausschnitte aus Internetforen für Frauenleiden und Tipps bei Trennungsschmerz („Es ist völlig normal, wütend zu sein. Ciao“). Mal geht es um die „Obszönität des weiblichen Geschlechtsorgans“, oft um „Löcher“, dann um Schmierblutungen und „wanderndes Fieber“ der Frauen. „Oh weh“, sagt Medea auf dem Podest.
Auf mehreren Bildschirmen flimmern Videos mit starker suggestiver Kraft. Eine Schlange oder ein Krokodil auf giftgrünem Hintergrund, ein Fötus im Mutterleib, Einbäume auf Wasser irgendwo in Afrika, Jagdbomber über der Wüste, antike Fresken, Spermazellen. Und mittendrin steht die sprechende Mutter-Statue Medea, bis sie sich nach etwa einer Dreiviertelstunde nach rechts wendet und den Masken-Frauen „Guten Tag“ zuruft. Alles mündet in ein Video-Delirium, das wohl an einen Geburtskanal erinnern soll und am Ende eine Tragödie gebiert.
Minutenlang läuten Glocken. Auf den Leinwänden ist grüner Urwald zu sehen. Nichts passiert mehr. Die ersten Zuschauer verlassen die Halle, zwei Sekunden kommt schüchterner Applaus auf, dann gehen die Zuschauer in Scharen. Birgit Minichmayr kommt nicht mehr auf die Bühne, es gibt keine Verbeugung. Aber in einer Ausstellung applaudiert man ja auch nicht vor dem Kunstwerk.