Kultur Tagsüber Cottonlord, abends revolutionärer Sozialist

Die Börse präsentiert ein spannendes Ein-Frau-Stück zu Friedrich Engels.

Julia Wolff (hier mit Laura-Alina Blüming an der Kamera) spielt Friedrich Engels.

Foto: Schwartz, Anna (as)

Eine Uraufführung mit Julia Wolff in der Rolle des Friedrich Engels ist das erste große Projekt der Wuppertaler Börse in diesem Jahr. Das Kommunikationszentrum konnte, finanziell unterstützt von der Jackstädt-Stiftung, der Stadt Wuppertal und Christian Baierl, ein Theaterstück über den berühmten Wuppertaler Sozialrevolutionär in Auftrag geben.

Der Titel ‚Ich kann des Nachts nicht schlafen vor lauter Ideen des Jahrhunderts‘ ist eines der Zitate von Friedrich Engels, die in diesem Stück zum Leben erweckt werden. Er spiegelt die ungeheure Rast- und Ruhelosigkeit des Revolutionärs und Unternehmersohns aus Barmen wider.

Autor und Regisseur Torsten Krug hat viel über Friedrich Engels gelesen und Schriften und Briefe des Barmer Fabrikantensohns studiert. Daraus erarbeitete er den Text seines Stücks. Zu 70 Prozent Originalton von Engels, ist es eine kluge und an manchen Stellen durchaus witzige Aneinanderreihung von wunderbaren Sätzen, die Krug zusammengefügt, bearbeitet und mit eigenen Texten verbunden hat. Entstanden ist ein ungeheuer intensiver Monolog, den Julia Wolff in der Figur des Friedrich Engels grandios meistert. Für Krug stand schon sehr früh fest, dass eine Frau diese Rolle spielen sollte. Mit Julia Wolff fand er die ideale Besetzung.

Eine zweite Hauptrolle spielt die Live-Kamera, die Laura-Alina Blüming souverän führt. Wenn Julia Wolff sich am Schminktisch abseits der Bühne in Engels verwandelt, wenn Friedrich Engels eine Rede hält oder Briefe an seinen Freund Marx schreibt, wo immer sich die Schauspielerin im Raum befindet, ist die Kamera dabei und das Bild wird zeitgleich auf die große Leinwand im Mittelpunkt des Raumes projiziert.

Das Stück spielt im
britischen Manchester

„Wir sind ja andauernd in der Weltgeschichte unterwegs, Bremen, Berlin, Paris, Barmen“, sagt Engels nicht ohne Stolz, denn in der Mitte des 19. Jahrhunderts war das wahrlich etwas Besonderes. Das Stück spielt nicht in Barmen, wo Engels 1820 zur Welt kam, sonders im britischen Manchester, wo er von 1850 bis 1869 lebte. Dort führte er ein Leben voller Widersprüche. Zusammen mit Karl Marx begründet er eine Lehre, die den Interessen seiner eigenen Klasse widerspricht. Für Familie und Geschäftspartner hält er die Fassade des Textilunternehmers aufrecht. Zitate wie „Tagsüber Cottonlord, abends revolutionärer Sozialist und Liebhaber“, machen dieses Doppelleben voller Brüche deutlich. Julia Wolff bewegt sich eindrucksvoll durch Engels‘ Parallelwelten und vollzieht, wie er, immer wieder Verwandlungen.

Als Liebhaber trifft Engels die irischen Fabrikarbeiterinnen Mary und Lizzie Burns in seiner geheimen Zweitwohnung, die mit Chaiselongue, Dekor, Champagner und vielen Büchern bürgerlich gestaltet ist (Bühne und Kostüm: Manfred Marschewski). Die Schauspielerin vermittelt Engels‘ Gedankenwelt, die einiges über unsere moderne Welt zu erzählen hat.

Vieles in diesem Stück wirkt verblüffend aktuell. So etwa ein Zitat aus der Schrift ‚Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie‘, die Engels 1844 verfasste: „Diese aus dem gegenseitigen Neid und der Habgier der Kaufleute entstandene Nationalökonomie oder Bereicherungswissenschaft trägt das Gepräge der ekelhaftesten Selbstsucht auf der Stirne.“

Der Untertitel „Eine Engelsmaschine“ kann als Verweis auf die Rolle der Maschine in der industriellen Revolution und die Entfremdung des Menschen von der Arbeit durch den zunehmenden Einsatz von Maschinen gelesen werden. Er kann sich auf die heutige Zeit beziehen, in der viele meinen, ständig online sein zu müssen. Auch die Protagonistin ist in diesem Stück von Technik und drei Kameras umgeben und damit online. In seinem Aufbau als Text-Collage erinnert der Untertitel auch an Heiner Müllers Hamletmaschine von 1977.

Das Stück ist für ein Präsenz-Publikum und die gleichzeitige Übertragung im Internet angelegt. „Im Idealfall sagen die Zuschauer, die es online gesehen haben, „das schau ich mir in der Börse noch einmal an“, sagt Autor und Regisseur Torsten Krug. Vorerst wird es ausschließlich digital auf einer Streaming-Plattform übertragen.

Weitere Aufführungen mit Publikumspräsenz sollen aber möglichst von März bis Mai und im Herbst 2021 folgen. Unter Corona-Bedingungen wären 40 Zuschauer erlaubt. Im besten Fall werden es 100 pro Vorstellung sein.