Morbider Humor - Bieitos „Kirschgarten“ in München
München (dpa) - Der als Skandalregisseur bekanntgewordene Katalane Calixto Bieito hat am Münchner Residenztheater Anton Tschechows „Kirschgarten“ auf die Bühne gebracht.
Bis auf eine Vergewaltigungsszene, die dem Zuschauer einiges zumutet, und einen nackten Hintern verzichtet er allerdings weitgehend auf Skandalöses und rückt die menschlichen Dramen der Charaktere in den Mittelpunkt. Für seine Neuinterpretation von Tschechows Abgesang auf das russische Gutsherrentum gab es am Dienstagabend zurückhaltenden, wenn auch freundlichen Applaus, aber auch einige Buh-Rufe.
Bieito, der nebenan an der Bayerischen Staatsoper schon 2010 seine wenig gefeierte Version von „Fidelio“ aufführen ließ, erzählt die morbide Geschichte auf seine eigene morbide Art und - dank des Bühnenbilds von Rebecca Ringst - vor morbider, beeindruckender Kulisse. Seine Interpretation funktioniert vor allem über dieses Bühnenbild. Schon zu Beginn des Stücks fällt die prunkvolle Fassade, nach und nach zerfällt das herrschaftliche Gutshaus immer weiter in seine Bestandteile - auch dank der Figuren auf der Bühne, die an seinen Mauern rütteln.
Der Regisseur holt aus der russischen Tragikomödie vor allem die tragische Seite heraus. Gelacht wird nur ab und an im Residenztheater - und dann meistens über Guntram Brattia, der den Kaufmann Lopachin spielt. Folgerichtig erntet er am Schluss auch den meisten Applaus - dicht gefolgt von Friederike Ott in der Rolle der Warja, die die Rolle erst kurz vor der Premiere übernommen hat und nach der rund zweistündigen Aufführung sichtlich erleichtert ist.
Mit Sophie von Kessel in der Rolle der Gutsbesitzerin Ljubow - sozusagen Lopachins Gegenpart - geht das Publikum weniger herzlich um. Dabei ist sie es, die eigentlich die stärksten Szenen hat: Verzweiflung, Sehnsucht, Hysterie. Leichte Kost ist es nicht, die Bieito dem Publikum zumutet. Zurück bleibt ein Gefühl von Verstörung, Unruhe und Ratlosigkeit.
Die Inszenierung Bieitos ist die vorletzte Premiere am Residenztheater in der premierenreichen ersten Spielzeit von Neu-Intendant Martin Kusej. Mitte Juni folgt noch Shakespeares Sommernachtstraum in einer Inszenierung von Michael Thalheimer. Bieito bleibt München allerdings noch weiter erhalten. Im Februar feiert seine Interpretation von Modest Mussorgskys Oper „Boris Godunow“ Premiere an der Bayerischen Staatsoper.