Premiere: „Peer Gynt“ als Greisenkarneval in Köln

Karin Beier zeigt Ibsens Drama als Spiel der Erinnerungen und des Alters.

Köln. Sie sabbern und zittern, stöhnen und röcheln. Sieben hochbetagte Männer dämmern in ihren Sesseln dahin, bewacht von einer Schwester im weißen Kittel, während vier Percussionisten mit monotonen Schlägen das Verrinnen der Zeit anzeigen.

Karin Beiers Inszenierung von "Peer Gynt" im Kölner Schauspielhaus spielt ganz offensichtlich im Demenztrakt nordischer Mythologie - oder einfach auf der Pflegestation für altgediente Ibsenfiguren.

Sessel, Gehhilfen, Sauerstoffflasche und Rollstühle möblieren die dreistufige Bühne von Thomas Dreißigacker, auf der die Figuren ein jämmerliches Dasein voller neidischer Blicke fristen. Bis Peer Gynt aus dem Dämmer erwacht und mit dem Satz "Ich kann doch hier nicht sterben" ins Land des schwadronierenden Wortes flüchtet.

Da greint sich dann auch Tilo Nest in die Rolle der Mutter Aase, während seine Kukidentbrothers sich zur Hochzeitsgesellschaft aufrappeln, Perücken aufsetzen, Verführungsposen einnehmen und Liedchen trällern. Die Vergangenheit flackert nur kurz auf, dann triumphiert wieder die Realität des Vergreisens.

Karin Beiers "Peer Gynt" ist ein Spiel der Erinnerung und damit des Alterns. Die Regisseurin nutzt die von Jean Améry beschriebene Selbstentfremdung im Alter als Folie für Peer Gynts radikale Suche nach dem Ich. Michael Wittenborn in der Titelrolle spielt das als innere Reise ins Land der Vergangenheit.

Mit bubenhaftem Charme macht er der unrasierten Trollkönigstochter (Martin Reinke) in Tulpenkleid und mit orthopädischer Halskrause den Hof, während Josef Ostendorf ihren Vater als massige Dame Edna im Pelzmantel (Kostüme: Maria Roers) hinsäuselt - umstanden von den Resttrollen (Albert Kitz, Michael Weber, Torsten Peter Schnick) in Gärtnerschürze.

Angelika Richter als harsche Schwester (und naiv-großäugige Solveig) holt mit Berichten aus der Nahkampfzone der Altenpflege den Greisenkarneval regelmäßig auf den Boden der inkontinenten Tatsachen. Ein Rückfall ins Immergleiche, der zwar ständig an die Vergänglichkeit des Menschen erinnert; sich aber zugleich als lähmendes Bleigewicht an die theatralischen Schwingen legt und den Abend zu einem zähen Vergnügen macht.

Erst nach der Pause entwickelt die Inszenierung szenischen Sog. Die Bühne öffnet sich nach hinten, sechs Raubtierkapitalisten mit Stetson bis Fellmütze beobachten die Tabledancerin Anitra. Sätze des Ich-Apologeten Max Stirner vermischen sich mit zynischen Unternehmermaximen.

Am Ende hat Peer Irrenhaus und Schiffbruch überstanden und wird von einem geigenden Gevatter Hein und dem Knopfgießer im kleinen Schwarzen in den Tod geleitet. Ein letztes Röcheln, dann sorgt die Schwester für Ordnung. Müder Beifall nach drei langwierigen Stunden.

3 Stunden, eine Pause, Auff.: 18., 22.November, 13., 14. Dezember, 19.30Uhr, Schauspielhaus Köln, Tel. 0221/ 221-28400.