Ballett: Die Meerjungfrau mit Push-up-BH

„Andersens Welt“ an der Rheinoper wird weder Groß noch Klein gerecht.

Duisburg. Hans Christian Andersens Leben war wahrlich kein Märchen. Sohn eines armen Schusters und früh Halbwaise, strebte er unerbittlich nach Erfolg. Der Standhafte Zinnsoldat - das war er selbst: die von Selbstzweifeln gequälte Künstlerseele ohne jegliche Lebensfreude. Anlässlich seines 200. Geburtstags wurde des dänischen Dichters 1995 vielerorts gedacht.

So bebilderte Johann Kresnik in Bonn das Leben des ängstlichen Junggesellen auf drastisch-imposante Weise, andere zeigten die Märchen. Am Duisburger Haus der Rheinoper feierte jetzt zur Vorweihnachtszeit "Andersens Welt" Premiere, der Versuch der Würzburger Ballettchefin Anna Vita, Biografie und Märchenwelt in einem Familienballett zu verbinden. Dabei wurde die langjährige Tänzerin des Rheinopern-Compagniechefs Youri Vàmos weder Groß noch Klein wirklich gerecht.

Erzählt wird, nach einer Novelle der Ungarin Agnes Balazs, von der verwaisten Gerda, die Andersens Märchenfiguren mit einer List retten will: Der Dichter will kein Märchenonkel mehr sein und nur noch Theaterstücke schreiben. Er haust im Keller des Kopenhagener Theaters, wo er aus Papiernot schon Wände und Kleidung beschrieben hat.

Pet Halmen hat wunderschöne Kulissen geschaffen. Durch einen Gaze-Vorhang mit Straßenflucht blickt man auf den Theaterbau. Drunter Andersens düstere Behausung mit nichts als einem Pult, auf dem eine belebte Shakespeare-Büste steht, die alles mimisch kommentiert.

Voller Leben sind auch die Märchenfiguren, versteckt hinter Glasvitrinen in den schwarzen Wänden. Verlässt Andersen die Szene, werden die Wände durchsichtig und sie klettern heraus. Ob der renommierte Bühnenausstatter bei den Kostümen Psychoanalytiker spielen wollte? Klar, der berühmte Kaiser muss in seinen neuen Kleidern nackt sein, aber warum trägt die Prinzessin auf der Erbse nichts unter ihrem Nachthemd und irritiert mit goldlockiger Scham?

Der Zinnsoldat steckt seine Nase in den üppigen Ausschnitt der dicken Ballerina, die kleine Meerjungfrau trägt eine Art Push-up-BH. Auch der hemdsärmelige Hausmeister in Erzählerrolle, der immer wieder zum Flachmann greift, oder die eingebildete Schauspielerin, die sich vor Andersen im schwarzen Dessous räkelt, sind ein überflüssiges Zugeständnis an die Erwachsenwelt. Denn ansonsten gibt sich der Abend eher konservativ.

Andrea Kramesovas Gerda ist ein bodenständiges Mädel in Wollmütze, Alexey Afanasiev ein überzeugender, melancholischer Hagestolz, eher unentschlossen gegenüber den Avancen der Diva (Daniela Svoboda).

Anna Vita erzählt gradlinig und in mal karikierendem, dramatischem oder elegantem Duktus, den die Duisburger Philharmoniker unter Martin Fratz mit Stücken von Poulenc, Satie und Mihaud farbenreich unterstreichen.

Dennoch ist die Handlung ohne Programmheft schlecht nachvollziehbar. Ob der Theaterdirektor nun Märchen oder Dramen kauft, wenn er eine Mappe entgegen nimmt, und was es mit Gerdas gefälschtem Brief auf sich hat, vermittelt sich nicht ohne weiteres. Vielleicht könnte der Erzähler für Klarheit sorgen. Auch als Andersen Gerdas Betrug erkennt und sie hinauswirft, um sie in der nächsten Szene liebevoll zu umsorgen, zeigen sich Fragezeichen auf den wenigen Kindergesichtern im Saal.