Sasha Waltz-Premiere in Brüssel

Brüssel (dpa) - Sie lieben beide denselben Mann. Einen Adeligen. Doch die Gefühle der Schwestern Matsukaze und Murasame bleiben unerwidert.

Die zwei Frauen sterben mit dem ungestillten Verlangen nach ihrem Geliebten, ohne Erlösung - und so kehren sie als Geister aus dem Tod zurück in die Bucht, in der sie einst das Salz des Meeres ernteten. Das ist 600 Jahre altes Theater aus Japan. Star-Choreografin Sasha Waltz und Komponist Toshio Hosokawa erzählen die Geschichte neu - und feiern mit „Matsukaze“ Uraufführung in Brüssel.

Wenige Augenblicke vor der Premiere klopft Barbara Hannigan, alias Matsukaze, dem Komponisten ermutigend auf die Schulter. Hosokawa nimmt die Geste mit einem bescheidenen Nicken an. Vertrautheit in den letzten Minuten bevor die Scheinwerfer angehen. Diese Nähe zeigt sich auch zwischen dem Komponisten und der Choreografin. Ein Muss, denn die beiden haben etwas geschaffen, das es so nur selten gab: Eine Oper, in der es nicht nur um Gesang, sondern vor allem um Tanz geht.

„Mein Traum ist es, Musik und Tanz zu verschmelzen“, sagt Waltz. Das ist ihr gelungen. Auf die Zuschauer wirken alle Reize: Gesang, Orchestermusik, Tanz, Bühnenbild. An einer aus schwarzen Seilen gespanten Wand räkeln sich Sänger und Tänzer. Ihre mal sanften, mal ruckartigen Bewegungen sind so fesselnd, dass sie den, wenn auch wohlklingenden Gesang nahezu in den Hintergrund drängen. Waltz' Lob an die Sänger: „Ihr habt eure Ängste überwinden müssen. Für mich seid ihr Tänzer geworden.“

Viele der Darsteller tanzen das tosende Meer, die Wellen nach. „Man wird die Bilder des Tsunamis dabei im Kopf haben“, sagt Waltz. Auch deshalb, weil immer wieder Tonaufnahmen mit Meeresgeräuschen aus Japan gespielt werden. Das todbringende Unglück hatte sich ereignet, als das Ensemble zu proben begann. „Wir wollten keine halb-aktuellen Bilder kreieren. Da entstehen jetzt andere Assoziationen, als wir ursprünglich gedacht haben. Aber sie bleiben jedem frei“, sagt Waltz.

Die schlichte, doch imposante Kulisse aus Seilen teilt die Bühne in eine reale und eine unwirklich Welt, in die die Schwestern als Geister zurückkehren. Die Künstler spielen mit diesen beiden Ebenen. „Ich hatte zu Beginn der Proben das Gefühl, ich halluziniere“, verrät Charlotte Hellekant, alias Murasame. Und tatsächlich: Die Inszenierung rückt den Zuschauer an die Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit, Diesseits und Jenseits, Mensch und Natur.

„Dieses Werk hat etwas ganz Tiefes, Interessantes“, sagt Hosokawa. Was ihn an „Matsukaze“ fesselt - einem Klassiker des traditionellen japanischen No-Theaters - ist sein aktueller Wert. Das Stück erzählt vom Festhalten an Vergänglichem, von Liebe und Schmerz, von Erlösung. „Wir erleben heute viele Menschen, die Vergänglichem anhaften.“ Im Stück finden die Schwestern erst zum Schluss Erlösung - durch ihren Gesang und ihren Tanz. Matsukaze und Murasame werden Teil der Natur und lösen sich in „Wind in den Pinien“ und „Herbstregen“ auf.

„Wenn man heute No-Theater sieht, hat es etwas Langweiliges“, sagt Hosokawa vor der Premiere. Für seine Neuinszenierung gilt das keinesfalls. Er und Waltz verwandeln das traditionelle Theaterstück in eine moderne, eindrucksvolle Oper - die im Sommer auch an der Staatsoper im Schiller Theater Berlin zu sehen sein wird.