Blutiges Rheingold „Siegfrieds Erben“ eröffnet Nibelungen-Festspiele
Worms (dpa) - Es beginnt mit einem gellenden Schrei - und endet in einer blutigen Mordorgie im Schatten des mächtigen Kaiserdoms. „Siegfrieds Erben“ präsentiert sich bei den diesjährigen Nibelungen-Festspielen in Worms als Reise tief ins Herz der Finsternis.
Für das Spektakel hat Intendant und Ufa-Chef Nico Hofmann wieder bekannte Namen an seine Tafelrunde in einer der ältesten Städte Deutschlands geholt. Als Hunnenkönig Etzel stapft der hollywooderfahrene Jürgen Prochnow in Schnürstiefeln über die Freilichtbühne, begleitet von Ochsenknecht-Sprössling Jimi Blue als Siegfrieds Sohn Gunther - bis zum grässlichen Tod im Flammenmeer.
Regisseur Roger Vontobel inszeniert „Siegfrieds Erben“ als bildstarke und düstere Fortsetzung des Nibelungen-Mythos. Die Geschichte der Autoren Feridun Zaimoglu und Günter Senkel setzt dort ein, wo die klassische Sage endet - nach dem Tod der rachedurstigen Kriemhild, Etzels Frau sowie Ex-Frau des blonden Drachentöters Siegfried.
Der trauernde Etzel reist nach Worms, um das Burgunderland und den Nibelungenschatz als Erbe einzufordern. Er trifft dort auf die Eltern des toten Siegfried, die den Schatz ebenfalls beanspruchen - sowie auf die zurückgebliebene Brunhild. Es ist der Beginn einer Spirale aus Hass, Gewalt und Wahnsinn, die in schwindelerregendem Tempo nach unten dreht. Im Zentrum stehen diesmal besonders die Frauen.
Bei langsam verglühendem Abendlicht eröffnet das Stück vor der Nordseite des Doms wie ein Kammerspiel. Scharfer Schwarzweiß-Kontrast beherrscht die schmale Bühne, in der Luft liegt die intensive Musik des mongolischen Kehlkopfsängers Enkhjargal Dandarvaanchig. Es ist ein schlichter Start, doch nach 30 Minuten beginnt das Stück mit einem Regiekniff wie von vorne. Die Kulisse kippt und gibt den Blick frei auf die Reste eines einstmals glanzvollen Hofs. Hier thront Brunhild (Ursula Strauss) mit ihrem Sohn Burkhardt (Max Mayer).
Wie alle in diesem Stück lebt die rothaarige Walküre auf den Trümmern ihrer Träume. Sie badet in altem Ruhm, während ringsum das Unkraut sprießt. Ihre furiosen Auftritte gehören zu den Höhepunkten des rund dreistündigen Stücks mit Pause. Angeführt von König Siegmund (Bruno Cathomas) und Königin Sieglinde (Karin Pfammatter) treffen die Niederländer mit Tochter Swanhild (Linn Reusse) ein. Am Ende wälzen sich alle im Dreck, statt Rheingold gibt es Schmutz und Schmerz.
„Mit „Siegfrieds Erben“ starten wir in eine neue Ära der Festspiele und bewegen uns wieder näher an den Ur-Stoff der Nibelungenerzählung heran“, sagt Intendant Hofmann. Zuletzt war Kritik laut geworden, die Stücke seien überfrachtet. In diesem Jahr kommt es statt zur Materialschlacht zu feinen Ideen der Regie. So brandet Beifall auf, als Videotechnik den Dom gleichsam zum Zittern bringt (Bühnenbild: Palle Steen Christensen). Auch die Kostüme überzeugen (Nina von Mechow).
Wohltuend ist, dass Zaimoglu und Senkel den etwa 1300 Zuschauern immer wieder Momente der Ruhe anbieten - etwa, wenn Schauspieler Wolfgang Pregler mit viel Hingabe die Königsmutter spielt oder Miguel Abrantes Ostrowski als intriganter Priester meisterhaft die Balance hält zwischen Kabale und Karikatur. Pheline Roggan als Schamanin und Michael Ransburg als Diener gelingen mit kleinen Gesten große Kunst.
Für Prochnow (77) und Ochsenknecht (26) ist diese Premiere besonders: Der Ältere hat nach eigener Aussage noch nie in einem Freilichtstück mitgewirkt, der Jüngere stand überhaupt zum ersten Mal auf einer Theaterbühne. Ochsenknechts Vater Uwe, der mit mehreren Familienmitgliedern nach Worms gereist war, spielte einst gemeinsam mit Prochnow im deutschen Filmklassiker „Das Boot“.
Bei einem Schauspieler floss übrigens echtes Blut: Felix Rech begab sich am vergangenen Mittwoch mit Bauchschmerzen ins Krankenhaus und musste am Blinddarm operiert werden. Nur zwei Tage später stand er am Freitagabend wieder als Gotenkönig Dietrich von Bern auf der Bühne.
Die Nibelungen gehören zu den Lieblingssagen der Deutschen. Der Ort der Festspiele ist historischer Grund: Eine Schlüsselszene der Sage, der Streit der Königinnen, spielt auf der Nordseite des Doms. An diesen Streit knüpfen die Festspiele seit 2002 an - in stets neuen Variationen. In diesem Jahr heißt es noch bis zum 5. August: „Der Teufel hielt sich die Nase zu, als er sie alle in die Hölle warf.“