Ost-Stolz Die Schauspielschule „Ernst Busch“ erfindet sich neu
Berlin (dpa) - Sie tragen Mantel und Degen, die Luft riecht streng nach Turnhalle. Alexandros und Yanina duellieren sich. „Ihr macht den Angriff zur Second“, ruft der Lehrer der Gruppe zu.
Die nächste Übung. Die Mäntel wehen, die Klingen klirren. „Du hast mich zweimal abgestochen“, sagt Alexandros. Er lacht. Es ist alles nur Theater.
Alexandros Koutsoulis (22) und Yanina Cerón Klewer (23) lernen Fechten, was traditionelles Bühnenhandwerk ist. Die beiden sind Schüler an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“. Gut möglich, dass sie einmal am Burgtheater, auf der Berlinale oder bei Netflix zu sehen sind.
Die „Busch“ ist eine der ersten Adressen für Schauspieler, ihr Ruf legendär. 1100 Bewerbungen gibt es jedes Jahr, 25 werden genommen. Jan Josef Liefers, Julia Jentsch, Devid Striesow, Sandra Hüller, Karoline Herfurth, Lars Eidinger, Henry Hübchen, Corinna Harfouch waren dort - und noch viele andere, die man aus Film und Fernsehen kennt. Die Schauspielerin Gerit Kling (53) sagt: „Meine Zeit an der "Busch" war sehr prägend und mit die schönste Zeit in meinem Leben.“
Wie viel Schweiß und Zweifel dazugehören, hat der Regisseur Andres Veiel 2004 in seiner Langzeit-Doku „Die Spielwütigen“ erzählt, die den Nachwuchs über sieben Jahre begleitete. „Ich könnte nie in ein Büro gehen“, sagt darin Constanze Becker, damals 19 Jahre alt. Ein paar Jahre später wurde sie „Schauspielerin des Jahres“.
Die Schule sitzt wie zu DDR-Zeiten in Niederschöneweide draußen an der Spree. Es ist ein in die Jahre gekommener Zweckbau mit Resten von Ost-Charme. Innen riecht es nach altem Linoleum. Im Garten sieht es zwischen kaputten Plastikstühlen, leeren Flaschen und Tischtennisplatte aus wie nach einer WG-Party. Mit Klebeband hat jemand mit Sinn für Ironie „Hollywood“ an die Fassade geschrieben.
Die „Busch“, das ist ein Stück Ost-Stolz, der auch an den Theatern von Berlin bis heute mitschwingt. Die Geschichte der Schule geht ins Jahr 1905 zurück, als der Intendant Max Reinhardt die erste deutsche Schauspielschule gründete. Sie hat als eine von wenigen Institutionen aus der DDR die Wendezeit gut überstanden und strahlt weit über Berlin hinaus.
Lange wurde um einen Neubau gerungen. Der wird wie vieles in Berlin später fertig und mit 44 Millionen Euro deutlich teurer als geplant. Im August ziehen Schauspiel, Regie, Puppenspiel und Tanz unter ein Dach in Berlin-Mitte, dort, wo früher die Opernwerkstätten waren.
Rektor Holger Zebu Kluth (56) ist neu im Amt, noch kennt er seine 300 Studenten nicht alle persönlich. „Die größte Baustelle ist die Baustelle“, sagt er. Sein Plan: Die vier bisher über die Stadt verstreuten Sparten mit ihrer unterschiedlichen Geschichte sollen zusammenwachsen.
Kluth kommt aus Lübeck. Er war einer der Gründer der Berliner Sophiensäle und leitete zuletzt einen Hamburger Theaterbetrieb. Als er im Oktober 2017 an der Busch-Schule anfing, hatte gerade die MeToo-Debatte um Macht und sexuellen Missbrauch begonnen. Er kommt im Gespräch von alleine auf das Thema, ohne Genervtheit. „Ich finde das interessant.“
Das Konzept von Theaterleuten, dass man Menschen „brechen“ und neu zusammensetzen muss, damit sie Großes leisten, hält Kluth für 70er Jahre und passé. Er fragt sich auch, was die MeToo-Debatte bei den Stadttheatern auslöst, bei „diesem Apparat, den sich alte weiße Männer aufgebaut haben, um Macht auszuüben“.
Zu lernen, wie man sich auf der Bühne verhält, ist eine sehr körperliche, manchmal peinliche, manchmal knisternde Sache - so hat es der Schauspieler Joachim Meyerhoff in einem seiner Bücher beschrieben. Kluth sagt, die Studierenden könnten damit untereinander gut umgehen. „Problematisch wird es erst in dem Moment, wenn all die Formen von Körperlichkeit mit einem Machtgefälle verbunden sind.“
Die klassischen Theaterstoffe wurden von Männern geschrieben. Es gibt Szenen, in denen Frauen geschlagen und vergewaltigt werden. Das beschäftigt Kluth. Er wirft die Frage auf, wie Studentinnen mit diesen Opferrollen umgehen sollten, ohne dass der Text auf Krampf modernisiert wird. „Wie spiele ich die als junge Frau von heute, aus einer kritischen Haltung heraus, ohne die Wörter wie in einem Kinderbuch zu ändern?“ Eine Aufgabe für die Schule könnte seiner Meinung sein, Texte zu erarbeiten, die ein anderes Frauenbild haben.
Kluth leitet die Schule in einer Zeit, in der die Generation Instagram auf die Bühne kommt. Er hat gehört, dass die Fernsehsender die Schauspieler auch nach der Zahl der Follower besetzen. Das bringt Quote, wenn jemand im Netz bei seinen Fans für einen Film wirbt. Und es sind die Zeiten von Netflix, Amazon und Serienhype. „Da entwickelt sich ein interessantes Feld von Fernsehschauspielerei.“
Bei solchen Rollen hilft das Bühnenhandwerk. Das wird an der „Busch“ gelehrt, mit Sprecherziehung und deutscher Verssprache. Manchmal kommen die Studenten erst um 11 Uhr abends nach Hause. Schauspieler wird man nicht ein bisschen. Es ist ein „Alles-Oder-Nichts-Beruf“, wie Alexandros Koutsoulis bei der Fechtstunde erzählt. Der Sportraum schwingt vor Energie. „Was wir haben, ist wie ein Erwachsenenkindergarten“, sagt Yanina Cerón Klewer über die Schule. Sie trägt ein T-Shirt mit einer Ansage: „Die Revolution sind wir“ steht darauf.
Fechten, das klingt altmodisch. Zumal Nacktszenen heute häufiger sein dürften als Schwertkämpfe. Aber es ist ein Weg, ein gutes Körpergefühl im Spiel mit dem Partner zu bekommen: Wie setze ich die Füße richtig, wie wehre ich ab. „Ich will, dass sie spielen“, sagt Fechtlehrer Thilo Mandel (49). „Am Ende ist es Schauspiel ohne Worte.“
Am Ende der Stunde versammelt er die Gruppe um sich. Mandel ist wehmütig. Es ist die letzte Stunde in den alten Räumen. Die neuen werden anders riechen und andere Geschichten erzählen. Im nächsten Semester kommt beim Fechten die Kür, sagt Mandel. „Ich freue mich auf euch im neuen Haus - jetzt raus!“