So sinnlich ist Schönberg
Eine glanzvolle Premiere der Oper „Moses und Aron“ eröffnet das Festival in Bochum.
Bochum. Soviel steht fest: Solch dramatische Wucht wie in dieser Neuinszenierung von Arnold Schönbergs Oper "Moses und Aron" hat man lange nicht erlebt. Und dies betrifft alle Beteiligten, Dirigent und Orchester, Gesangssolisten, den 100-köpfigen Chor.
Noch nie hat man einen so klangsinnlichen, farbenfroh blühenden, poetischen und doch oftmals geheimnisvollen Schönberg gehört wie von den Bochumer Symphonikern unter Michael Boders Leitung. Das gilt auch für Raum, Bühne, Bild - und das in einem Werk, das um Gottes Begreifen und Ergreifen kreist.
Damit ist die Eröffnung der 3.Ruhrtriennale triumphal gelungen. Im ersten Teil von Schönbergs Oper ringt Moses mit Gott, der ihm im lodernden Dornbusch den Auftrag gibt, die Israeliten, sein auserwähltes Volk, aus der ägyptischen Gefangenschaft durch die Wüste ins gelobte Land zu führen. Schönbergs Musik ist hier von wunderbar süßer, heiliger Verführung. Und endlich flüstert er erschüttert das zentrale Wort: "Gott". Doch als er sein Volk zur Umkehr zwingen will - er verteilt leere Blätter statt Kitschbildchen -, beginnt seine Tragödie.
Eingangs sitzen sich die Zuschauer frontal und auf steil ansteigenden Tribünen in einem geschlossenen rechteckigen Raum gegenüber. Choristen und Solisten sind verteilt im Publikum; Dale Duesing (Moses) zum Beispiel in Reihe 12, Platz 62. Doch allmählich weichen die Wände auseinander, immer mehr füllt sich der Raum mit Klang.
"Ich kann denken, aber nicht reden", stammelt Moses. "Reinige dein Denken", maßregelt er den Bruder Aron, dem sehr wohl Sprache gegeben ist. Immer wieder senkt sich wie ein Gefängnis aus durchsichtiger Gaze ein Guckkasten über das Volk, das die Gefangenschaft einem unsichtbaren Gott vorzieht und das trotzig Beweise begehrt, ob die Brüder das Volk führen können.
Und der mächtige Stab, um den es immer wieder zu Zwistigkeiten kommt, wirkt Wunder: Ein Schlangengezücht überfällt sie, schrundiger Aussatz befällt sie und der Nil färbt sich blutrot. Die riesigen Videos von Johannes Gebert wirken furchteinflößend und vielleicht zu deutlich, zu naturalistisch. Bedenkt man, dass Regisseur Willy Decker ursprünglich einen "Nicht-Raum" erzeugen wollte, so hat Bühnenbildner Wolfgang Gussmann das mit derart drastischen Bildern vereitelt.
Vierzig Tage ist Moses bei Gott, um die Gesetze zu empfangen - wer weiß, ob er je wiederkehren wird? Das unduldsame Volk begehrt auf. Man braucht Anschauliches, und nun kann sich Aron nicht länger der Anarchie widersetzen: Das Goldene Kalb, hier aus unschuldigem Pappmaché, wird von rechts durch das nach links rollende Orchesterpodium geführt. "Verehrt euch selbst in diesem Sinnbild", ruft Aron.
Textgetreu opfern Priester vier nackte Jungfrauen, und es fogt eine Blutbad- und Begattungsorgie. Das hätte wüst ausfallen können, doch ist dies Willy Deckers Sache nicht; er ist nicht exzessiv, und Expressivität überlässt er der Musik. Nie hat man so differenziert gehört, mit welch böser, höhnischer Satire Schönberg diesen Exzess karikiert und musikalisch kommentiert.
Moses kehrt zurück, statt der Tafeln ein weißes Laken mit den Gesetzestexten hinter sich herziehend. Er ist entsetzt - finaler Streit zwischen den Brüdern. Moses, der Prophet, bleibt dem Denken treu und einsam zurück; der Tatmensch Aron ist der Führer.
Dale Duesing gelingt ein bestürzender Sprechgesang von absoluter Unbestechlichkeit, während Tenor Andreas Conrad (Aron) die Stimme noch an extremen Grenzen prachtvoll leuchten lässt. Rupert Huber führt ChorwerkRuhr mit äußerster Präzision. Ovationen!