Blick auf den Tod Spiritueller Trip: „The Virgin Suicides“ in München
München (dpa) - „Das Ziel dieser Reise ist Ekstase“, sagt eine Stimme aus dem Off. Gleich am Anfang verwirrt die Premiere von „The Virgin Suicides / Die Selbstmord-Schwestern“ am Donnerstagabend in den Münchner Kammerspielen.
Handelt es sich in der Romanvorlage von Jeffrey Eugenides doch um den Selbstmord von fünf jugendlichen Schwestern.
Ekstase steht am Ende dieser Geschichte eigentlich nicht. Der US-amerikanische Autor Eugenides („Middlesex“) erzählte sie in seinem ersten Roman aus dem Jahr 1993 - sechs Jahre später verfilmt von Sofia Coppola - aus der Sicht von ein paar verliebten Nachbarsjungen, die Jahre nach den Selbstmorden versuchen, die Geheimnisse der Schwestern zu verstehen. In der Aufführung von Susanne Kennedy ist das allerdings nur noch angedeutet. Vier Schauspieler, die in Puppenkostümen stecken, stellen abwechselnd die Schwestern und die Jungen dar.
Susanne Kennedy gehört zum Team von Chris Dercon, der in der kommenden Saison die Leitung der Berliner Volksbühne übernimmt. „The Virgin Suicides / Die Selbstmord-Schwestern“ ist eine Koproduktion mit der Volksbühne. Kennedy hält nicht viel vom klassischen Figurentheater, Handlung gibt es nicht. Die Schauspieler sprechen entweder gar nicht oder im Kollektiv.
Verschiedene Stimmen kommen stattdessen aus dem Off. Kennedy reichert den Roman mit Passagen aus dem „Tibetanischen Totenbuch“ an, einem buddhistischen Text, der Menschen in der Sterbephase helfen soll. „Der Schmerz ist etwas Natürliches“, sagt eine Stimme. „Ihn zu verarbeiten, ist eine Entscheidung.“
Dazwischen liest eine andere, tief verzerrte Stimme Texte des US-amerikanischen Gurus Timothy Leary vor, eines Psychologen, der in den Siebzigerjahren den freien Umgang mit LSD predigte: „Du begibst dich jetzt auf eine abenteuerliche Reise, bei der du deinen Geist verlässt.“ Der Tod ist in dieser Reise keine dramatische Sache.
Er ist das Tor zu einem neuen, spannenden Bewusstsein. Die Schauspieler stecken mittendrin. Sie zucken, drehen sich minutenlang in Zeitlupe im Kreis, oder erbrechen Unmengen weißer Flüssigkeit.
Die Zuschauer fühlen sich trotzdem unterhalten und lachen beim Anblick der Manga-Masken, die die Schauspieler tragen. Dass darunter Hassan Akkouch, Walter Hess, Christian Löber und Damian Rebgetz stecken, sehen die Zuschauer erst beim Schlussapplaus.
„The Virgin Suicides“ ist in Kennedys Inszenierung vor allem ein optisches Spektakel. Überall sind Kunstblumen, Lichterketten und Bildschirme, auf denen ständig wechselnde Videos laufen, die Mitschnitte aus amateurhaften YouTube-Videos junger Mädchen zeigen. Sie übertragen den Voyeurismus der Nachbarsjungen, die die Schwestern im Roman vor ihrem Tod von überall aus beobachtet hatten, auf die Zuschauer. „Hallo meine Lieben! Hier ist wieder euer Beauty Birdy und heute gibt es mein Schul-Make-Up.“
Plötzlich erscheint Schauspieler Ingmar Thilo als Greis im Kommunionskleid und mit langen Haaren auf der Bühne. Er spricht nicht, aber grinst angesichts seines kurz bevorstehenden Todes. Die Puppen drapieren sich um ihn, kämmen ihm die Haare und setzen ihm einen Blumenkranz auf.
Kennedy steigert die Motive des Romans ins Groteske. Sie interessiert sich nicht für die Psychologie hinter den Selbstmorden der Mädchen. Stattdessen wirft sie einen neuen Blick auf den Tod: Am Ende findet sie ihn halb so schlimm.