Wie Detroit sich durch Kunst neu erfindet
Detroit (dpa) - Fluffige, bunte Stofftiere saßen grüppchenweise auf dem Vordach der Veranda. Ringsherum verteilt hingen sie an knallgrünen Holzlatten des zweistöckigen Hauses: Hasen, Hunde, Kuschelbären.
Die freundlichen Maskottchen verwandelten das einst herrenlose Wohnhaus in der US-Pleitestadt Detroit mit einigen Handgriffen in das „Animal Party House“. Die Botschaft war klar: Der grauen, von jahrelangem Verfall und Misswirtschaft zermürbten Autostadt soll mit bunten Farben neues Leben eingehaucht werden.
Puppen, Reifen, Vinyl - kaum ein Fundstück war Tyree Guyton zu schade, um nicht als haushohe Street Art in seinem „Heidelberg Project“ aufzugehen, mit dem er seit 1986 verlassene Häuser zu gigantischen Skulpturen umbaut. Auch Gehwegen, Häusern, Laternenmasten und leeren Grundstücken gaben er und seine Helfer einen neuen Anstrich. „Die Medizin scheint einen heilenden Effekt zu haben“, heißt es auf der Website, Touristen zeigen sich begeistert vom farbenfrohen Viertel.
Doch reichen ein paar Pinselstriche, um eine von Kriminalität, Städteflucht und Massenarbeitslosigkeit gebeutelte Metropole wieder aufzupäppeln? Glaubt man George N'Namdi, dem Gründer des Detroiter N'Namdi Zentrums für Moderne Kunst, ist es das Heer „künstlerisch arbeitender Kräfte“, das die finanziell ausgetrocknete Stadt mit kleinen Galerien, Performances, Konzerten und Lesungen unterströmt.
„Es gibt eine stetige Kunstszene, tief verwurzelt in der Seele der Stadt“, sagt Sirene Abou-Chakra, die in der „Motor City“ aufgewachsen ist. „Selbst als die Fabriken schlossen: Die Kunst setzte sich durch.“ Wie in einigen Teilen Berlins wurde das Brachland zur Brutstätte für Kreativität - allein der Optik wegen. Immer neue Fotografen zieht es zum „Ruin Porn“ (Ruinen-Porno), zur düsteren Kulisse verwunschener und verlotterter Geisterviertel.
Techno-Größen liefern bis heute den Soundtrack für den Tanz in verlassenen Werkshallen oder alten Krankenhäusern. Während US-Medien den endgültigen Niedergang Detroits beschworen, blieben DJs und Produzenten wie Juan Atkins, Derrick May und Kevin Saunderson treibende Kräfte der Stadt, die mit dem Soul-Label Motown auf eine reiche Musikgeschichte zurückblickt. Der Detroiter Vier-Viertel-Takt setzte auch während der Krise nicht aus.
„Die Szene ist in den letzten Jahren unglaublich gewachsen“, sagt Techno-DJ Aboudi Issa. Die Musik verlagere sich von skelettierten Industriehallen wieder langsam in die Innenstadt. Während dort die Mieten steigen und die Lokalzeitung „Detroit Free Press“ schon von Gentrifizierung spricht, scheinen Galeriebetreibern gute Tage bevorzustehen. Butcher's Daughter, Re:View in Midtown oder die Inner State Gallery und Trinosophes im Osten zeigen, dass die Stadt auch in wirtschaftlich schweren Zeiten Kunst braucht und will. Geld kommt von Stiftungen wie der Knight Foundation und der Kresge Foundation.
Doch die Talfahrt ist noch nicht überstanden. Das Detroit Institute of Arts (DIA) in Midtown bangt etwa um seine berühmte Kunstsammlung. Denn seit Detroit im Juli 2013 Insolvenz anmeldete, muss die Stadt jeden Penny umdrehen, um des gewaltigen Schuldenbergs Herr zu werden. Auch Teile der mehr als 60 000 Werke umfassenden DIA-Sammlung könnten deshalb unter den Hammer kommen - darunter Schätze von van Gogh, Diego Rivera, Rembrandt, Rodin und Picasso.
Und es gibt sogar jene, die den Kreativen die Luft abschnüren wollen. Brandstifter ließen das „Animal Party House“ und drei weitere vom „Heidelberg Project“ dekorierte Häuser schließlich in Flammen aufgehen.
George N'Namdi zieht trotzdem schon jetzt den Vergleich zum New Yorker Stadtteil Soho oder Wynwood in Miami. „Die Künste beginnen, die Stadt und ihre Bewohner zu verändern.“ Zwar seien es günstige Mieten, die Menschen von außerhalb zum Detroit River an der kanadischen Grenze ziehen würden. Bleiben würden sie aber aus einem anderen Grund: „Detroit hat eine Seele. Das ist ansteckend.“