Spielzeiteröffnung im Düsseldorfer Schauspielhaus Packende Bilder für die politische Dramatik

Düsseldorf · Das Kunstblut fließt in Strömen, das Ensemble verausgabt sich – dennoch kann „Dantons Tod“ im Düsseldorfer Schauspielhaus nicht überzeugen.

Georg Büchners „Dantons Tod“ läutete im Düsseldorfer Schauspielhaus die neue Spielzeit ein.

Foto: Thomas Aurin

Die Erwartung war hoch. „Dantons Tod“ von Georg Büchner. Ein Historiendrama über die letzte Phase der Französischen Revolution, in der der Wohlfahrtsausschuss die Regierung übernahm, Terror und Gewalt ausübte, die in blindem Massenmord mündete. Tausende von Revolutionskämpfern – wie Danton – und unschuldige Menschen starben im Frühjahr 1794 durch das scharfe Messer der Guillotine. Vor 50 Jahren – in der Zeit von Studentenrevolten - wurde das Düsseldorfer Schauspielhaus mit diesem Klassiker eröffnet und feiert zum Gebäude-Jubiläum und zur Neueröffnung des sanierten Hauses wieder Premiere. In dem Haus auf dem Gründgens-Platz, der immer noch einer Riesen-Baustelle gleicht. Und in dem auch im Inneren Handwerker Tag und Nacht arbeiten. Bühne und Zuschauerraum sind davon nicht betroffen.

Doch wer glaubte, „Dantons Tod“ werde ein großer Wurf, sah sich getäuscht. Trotz einiger packender Bilder (Bühne: Olaf Altmann), die sich in das Gedächtnis einstanzen, quält sich die Inszenierung von Armin Petras dreieinhalb Stunden dahin. Und kann – trotz eimerweise fließenden Bluts und dröhnender Lautstärke – die Regie-Schwächen nicht verbergen.

Das Hauptproblem: Wer die zentralen historischen Figuren nicht kennt und nur wenig über die geschichtlichen Ereignisse weiß, findet sich in der Handlung kaum zurecht, versteht viele Dialoge nur mir Mühe. Deshalb wohl der flaue Schluss-Applaus, obwohl die erste Garde von Schauspielern fesselnde Psychoporträts von Danton (Wolfgang Michalek) und seinen Gegenspielern Robespierre (Lieke Hoppe) und Saint Just (Cathleen Baumann) zeichneten und zu Recht bejubelt wurden. Empfehlenswert ist jedenfalls, vorher die Info-Kapitel im Programmheft zu lesen.

Der Abend feiert in erster Linie die Sprache: Einprägsame Bilder für die politische Dramatik und staatsphilosophischen Gedanken über Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit fand das 21-jährige Genie Büchner, der 1835 für dieses Stück in den Archiven der Pariser Assemblée Nationale recherchierte. So treffen beispielsweise die Rufe auf Pariser Straßen „Wir sind das Volk!“ oder die Verteidigungs-Worte von Danton, der damit ehemalige Mitstreiter wie Robespierre anklagt, auch heute noch den Kern und ins Mark. „Die Revolution ist wie Saturn, sie frisst ihre eigenen Kinder“ oder „Lieber guillotiniert werden als selber guillotinieren“. Der bullig kraftvolle Michalek schleudert diese Sätze wie Hämmer heraus.

Der Beginn ist so spektakulär wie das Finale. „Radikale“ und „Gemäßigte“ rutschen anfangs auf einer raumhohen Metallwelle nach vorne. In der Mitte rinnt eine dicke Blutspur. Dann kämpfen Danton und Gefolgsleute Freunde, reden sich um Kopf und Kragen, brüllen um das liebe Leben, zittern am ganzen Leib vor Todesangst und enttarnen sich – wie Camille Desmoulins (Henning Flüsloh) – als Anti-Helden, die nicht sterben wollen.

20 Schauspieler liegen kopfüber am Bühnenrand

Im Schlussbild liegen 20 Darsteller kopfüber am Bühnenrand. Wie auf einer Schlachtbank. Ein Hinweis darauf, dass nicht nur Danton und seine Getreuen den Tod finden, sondern auch die Täter, die „Tugend nur mit Terror durchsetzen“ wollen, werden wenige Monate später Opfer der blindwütigen Lynchjustiz.

Neben effektvoll choreographierten Gruppenszenen, in denen „Radikale“ und „Gemäßigte“ im donnernden Stakkato Brot und Getreide fordern, bescheren Hauptdarsteller Michalek und Lieke Hoppe große Momente: So, im Dialog von Danton und Robespierre: Danton schafft es nicht, den Gegenspieler und früheren Freund zum Einlenken zu bewegen, obwohl er Kleider und Perücke ablegt, und nackt vor Robespierre steht. Letzterer fordert im Konvent (Parlament) den Tod der Konterrevolutionäre und später, Danton vom Prozess auszuschließen.

Manche Tableaus arten jedoch aus: Mitläufer kreischen und singen, erzeugen eine bizarre Partystimmung und wirken wie Teilnehmer an einem übermütigen Happening. Locken etwa Revolutionen heute eine schrille, abgetakelte Feier-Gesellschaft an? Ist das die Botschaft? Möglich. Aber Revolutionen, die die Gesellschaft radikal verändern (wie die Französische) werden heute weniger in Europa, sondern auf Kontinenten wie Asien und Afrika ausgetragen. Vor 30 Jahren noch, als „Dantons Tod“ ebenfalls in Düsseldorf herauskam – mit fallender Mauer und „Wir sind das Volk“-Rufen, konnte man im TV ähnliche Szenen bei den Leipziger Montags-Demos verfolgen, die zum Mauerfall führten. Vielleicht fehlt 2019 dem Regisseur ein brisanter Bezug. Und so setzt Armin Petras ein Historien-Drama in Szene, mit einer bildschönen Frau (Lieke Hoppe) als Schlächter(in) Robespierre. Was das nun wieder soll? Das ahnt am Ende niemand.