Neuerscheinung Der Suizid als eheliches Streitthema - Ein Buch über Gott, den Tod und die Sterbehilfe
Köln · Die beiden Theologen Anne und Nikolaus Schneider haben ihren jahrealten Disput über Sterbehilfe in Buchform fortgesetzt. Während seine Frau auf eine eindeutige Legalisierung des ärztlich assistierten Suizids hofft, plädiert Schneider dafür, „die Dinge nicht im Detail zu regeln.
Es ist bald fünf Jahre her, dass Anne und Nikolaus Schneider mit einer besonderen Form des nach außen getragenen Ehestreits für Furore sorgten. In Zeitungsinterviews und Fernsehauftritten machten die beiden auf fruchtbare Weise ihren Dissens öffentlich: Anne Schneider erklärte, im Fall der Fälle in der Schweiz Sterbehilfe in Anspruch nehmen zu wollen. Ihr Mann befürwortete die Hilfe zum Sterben nicht, versicherte aber, seine Frau aus Liebe dennoch begleiten zu wollen.
Die Diskussion der beiden Theologen war keine akademische, sondern eine erfahrungsgetränkte. Ende Juni 2014 war Nikolaus Schneider mit Hinweis auf die Brustkrebserkrankung seiner Frau vom Amt des EKD-Ratsvorsitzenden zurückgetreten. Und 2005 hatten die Eheleute den Tod ihrer an Leukämie erkrankten jüngsten Tochter verkraften müssen.
Inzwischen gilt Anne Schneider als geheilt. Der Journalist und Pastor Wolfgang Thielmann hat die Eheleute jetzt noch einmal dazu bewegt, die Diskussion von damals zu reflektieren. Herausgekommen ist ein Buch, das sich in Interviewform vier Grundfragen widmet: nach dem Gottes- und dem Menschenbild, nach dem Verständnis von Tod und nach der Rolle von Theologie und Kirche in der Debatte über den assistierten Suizid.
Bundesverfassungsgericht entscheidet über Sterbehilfe
Das Buch erscheint nicht im luftleeren Raum. Am 17. April will das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob die Neuregelung der Sterbehilfe aus dem Jahr 2015 mit dem Selbstbestimmungsrecht des Grundgesetzes vereinbar ist. Wenn nicht, wäre wieder der Gesetzgeber gefordert, mit vermutlich neuerlicher gesellschaftlicher Debatte.
Der Diskurs – für Anne Schneider ist das auch die einzige Form, wie Glaube überhaupt gelebt werden kann. Sie verwahrt sich gegen alle theologische Eindeutigkeit bei der Frage der Selbsttötung, wie sie bis heute in der Ablehnung des ärztlich assistierten Suizids durch die EKD zum Ausdruck kommt. „Gerade weil ich Gott als Gott ernst nehme, kann niemand sagen, was die Norm ist im Blick auf den Suizid“, sagt sie bei der Buchpräsentation in der Kölner Kulturkirche.
Ihr Ehemann sieht die Kirche dagegen im Spannungsfeld „zwischen dem theologischen Bemühen, klar zu reden“, und der Anwendung „im gelebten Leben, das dann gar nicht mehr so klar ist“. Auch er will nicht, dass Ärzte, die im Rahmen der Neuregelung von 2015 Menschen in besonderen Situationen bei der Selbsttötung helfen, anschließend mit dem Staatsanwalt rechnen müssen. „Diese Verunsicherung muss eine Ende haben.“ Aber während seine Frau auf eine eindeutige Legalisierung des ärztlich assistierten Suizids hofft, plädiert Schneider dafür, „die Dinge nicht im Detail zu regeln“. Undiskutierbar wichtig ist für ihn allerdings die klare Abgrenzung der Hilfe zur Selbsttötung von der Tötung auf Verlangen.
Die Kirchen haben den Suizid lange als unzulässigen Eingriff in Gottes Handeln begriffen und in solchen Fällen früher gar christliche Beerdigungen verweigert. Jetzt müssten sie in dieser Frage Bescheidenheit lernen, ist Autor Thielmann überzeugt. Sexuelle Gewalt in den Kirchen habe das Leben von Menschen verletzt „und manche in die Selbsttötung getrieben“. Die frühere moralische Autorität sei mit dem Missbrauchsskandal verwirkt. Thielmann und die Eheleute Schneider sind sich einig, dass die Kirche an die Seite der Menschen gehört und die Bedürfnisse der Sterbenden im Mittelpunkt stehen müssen.
Im Rückblick auf ihre Krebserkrankung sagt Anne Schneider: „Die anderthalb Jahre Quälerei haben sich gelohnt.“ Aber wenn sie gewusst hätte, dieser Zustand würde für den Rest ihres Lebens anhalten, „dann hätte ich das nicht grenzenlos durchgestanden“. Womöglich aber könnte die rechtliche Möglichkeit des assistierten Suizids sogar dazu führen, im Einzelfall länger am Leben festzuhalten. Klar ist für sie nur: Die Frage, ob die Selbsttötung mit dem christlichen Glauben vereinbar ist, kann nicht an kirchliche Amtsträger delegiert werden. Sie ist vom eigenen Gottesbild abhängig. „Ich muss selbst entscheiden können.“
Nikolaus Schneider ist da zurückhaltender. In dem Buch schreibt er, für ihn gehöre zur Ungewissheit des Lebens und Sterbens dazu, „dass bei der Beantwortung der Fragen danach, was an Hilfen beim Sterben und zum Sterben geboten oder verboten ist, eine vollständige und letzte Eindeutigkeit nicht möglich ist“.