Caroline Darian beeindruckt bei der lit.cologne Tochter eines Täters und eines Opfers

KÖLN · „Und ich werde dich nie wieder Papa nennen.“ Ein Satz mit Wucht. Und ein Buchtitel. Die Frau, die den Satz sagt, heißt Caroline Darian. Sie sitzt an diesem Abend im Kölner WDR-Funkhaus, im mit 600 Personen voll besetzten Vortragssaal.

Caroline Darian stellte ihr Buch bei der Lit.Cologne vor.

Foto: dpa/Henning Kaiser

Die meisten sind Frauen, und sie werden der Französin nach eineinhalb Stunden minutenlang applaudieren. Stehend. Und so ihre Solidarität zeigen mit einer Frau, die Schreckliches erleben musste – als Tochter eines Täters und eines Opfers. Carolin Darian ist die Tochter von Gisèle und Dominique Pelicot.

Ihr Vater hatte seit 2013 seine Frau, Carolines Mutter, heimlich mit chemischen Substanzen betäubt, um sie im bewusstlosen Zustand zu vergewaltigen und mindestens 50 fremden Männern zuzuführen. In einem weltweit beachteten Prozess wurde Dominique Pelicot im Dezember 2024 zu 20 Jahren Haft verurteilt. Darians Mutter hatte den Mut gehabt, darauf zu bestehen, dass der Prozess in aller Öffentlichkeit geführt wurde. Ihre Worte „Die Scham muss die Seite wechseln“ werden immer wieder zitiert.

Für den Abend in Köln haben die Veranstalter des Literaturfestivals lit.cologne die Schauspielerin und Hörbuchsprecherin Sandrine Mittelstädt gewonnen, die eindrucksvoll Passagen aus Darians Buch vorliest. Im Wechsel mit Interviews, die die Moderatorin Olga Oppenheimer mit der Autorin führt und fürs Publikum übersetzt.

Caroline Darians Buch setzt ein zu dem Zeitpunkt, als sie im November 2020 erfahren hatte, dass ihr Vater verhaftet wurde. Ab da war die Welt der heute 46-Jährigen eine andere. Die Akademikerin und leitende Angestellte eines Unternehmens, mit Mann und kleinem Sohn, erzählt, wie ihre elterliche Familie auseinandergerissen wurde durch die unvorstellbaren Taten ihres Vaters, der auf einer Chat-Plattform Kontakt aufgenommen hatte zu Männern, denen er Sex mit seiner bewusstlosen Frau anbot. „Er verlangte keine Geld, die einzige Bedingung war, dass er die Täter dabei filmen durfte.“ 20 000 digitale Dateien wurden im Rahmen der Ermittlungen gefunden.

Sie erzählt in dem Buch über ihre Kindheit, von der Rolle ihres Vaters in der Familie, in der sie mit ihrer Mutter und zwei Brüdern aufwuchs. Über Eheprobleme der Eltern, über instabile finanzielle Verhältnisse, häusliche Gewalt des Vaters, über die Pfändung der Möbel im Elternhaus. Aber sie sagt auch, dass Domininque Pelicot damals ein Papa sein konnte, der seinen Kindern zuhörte, der sie bei Liebeskummer tröstete. Heute sagt Darian: „Ich fühle mich verraten und ich schäme mich, die Tochter dieses Peinigers zu sein.“

In dem Aufsehen erregenden Strafprozess, in dem es um die Taten ihres Vaters und der mit ihm verurteilten Männer ging, war sie jedoch nur die Tochter des Täters und des Opfers. Dabei sei in den Ermittlungen ans Licht gekommen, dass sie selbst auch zum Opfer ihres Vaters geworden sein könnte. Sie hat einen Strafantrag gestellt. Auf Fotos ihres Vaters sei auch sie zu sehen, betäubt und ausgeliefert.

Sie sei überzeugt, dass sehr viel mehr dahintersteckt, als in dem Prozess um die Vergewaltigungen ihrer Mutter herauskam. Doch Darian will mehr als nur ihren eigenen Fall aufklären. Sie will das Thema der chemischen Unterwerfung in die Öffentlichkeit bringen. Das weltweit verbreitete Phänomen, dass nicht nur K.o.-Tropfen, sondern auch sonstige Substanzen aus der Hausapotheke genutzt werden, Personen bewusstlos zu machen und sich an ihnen zu vergehen. Sie gründete den Verein „Stop à la soumission chimique“ (Stopp der chemischen Unterwerfung), der sich für Prävention und Aufklärung einsetzt. Und auf noch etwas legt Darian wert – und da wendet sie sich ab von ihrer Fragestellerin und appelliert direkt ans Publikum. „Wir müssen uns um die Jungen kümmern, sie zu Respekt erziehen. Die Kinder von heute sind die Erwachsenen von morgen.“

Caroline Darian: „Und ich werde dich nie wieder Papa nennen“; Kiepenheuer & Witsch, 22 Euro