Kultur Schmerz von Engeln und Geistern

DÜSSELDORF · Die israelische Künstlerin Bracha Lichtenberg-Ettinger stellt erstmals in Deutschland aus, im K 21 der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf

Während ihre Theorie breit rezipiert wird, fand Bracha in Deutschland erst infolge ihres Rücktritts aus der Findungskommission zur künstlerischen Leitung der documenta 16 breite Beachtung.

Foto: Bozica Babic

Alles schwimmt. Alles wabert. Meist in hellem, weißlichem Kosmos. Bläuliche, rötliche Töne oder Hell-Lila dominieren auf einer Vielzahl der Bilder, die derzeit in der Kunstsammlung NRW im früheren Ständehaus in Düsseldorf zu sehen sind. Genau zu definieren sind weder Farben noch Formen. Engel oder schwirrende Lichtwesen können es sein. Man erahnt jedenfalls Umrisse von weiblichen Gesichtern, Köpfen, Torsi und gebogenen Extremitäten auf 80 Arbeiten, die Bracha Lichtenberg Ettinger im K 21 ausstellt.

Wenn auch in Kunstmetropolen wie Paris, London, Tel Aviv und Barcelona bereits seit Jahrzehnten bekannt (in Museen und Galerien), so ist die 1948 in Israel geborene Künstlerin erstmals in einem deutschen Museum vertreten. Wenn sie auch schon in den 1980ern an Kunstaktionen in Berlin, Düsseldorf und Köln teilgenommen hatte. Als „Philosophin, Friedensaktivistin und Feministin“ – wie man sie ebenfalls bezeichnet.

Mit Umrissen von
Frauenkörpern

Ihre zum Teil geheimnisvollen Studien in Öl oder mit Tusche mit Gestalten, die aus der Vergangenheit, manchmal aber aus Röntgenbildern stammen könnten, sind in drei Sälen der Bel Etage des K 21-Tempels arrangiert (Kunst des 21. Jahrhunderts). Und wie eine Retrospektive aufgebaut. Motive der meist diffusen Bilder mit Umrissen von Frauenköpfen: Familienfotos von Eltern in der NS-Zeit im Ghetto von Lodz, das Berliner Olympia-Stadion, der deutsche Blick auf Palästina 1917 im Ersten Weltkrieg. Und mehr.

Einige Bilder lassen Schmerzen erahnen – verursacht durch Gewalt und Krieg. Das passe zum Tag der Vor-Besichtigung, fügt die Künstlerin gestern hinzu. „Today is a sad day“: An diesem Tag (20. Februar) gab in Lichtenberg-Ettingers Heimat die Hamas die Leichen der israelischen Geiseln frei – darunter eine Mutter mit zwei Kindern. Mit Nachdruck erinnert sie an die schwierige Zeit der „letzten 500 Tage“ (seit der Entführung im Oktober 2023).

Die Schau beginnt in den 1980er Jahren in stark abgedunkeltem Raum bis zu neueren Werken in lichtdurchflutetem Saal – wo etwa auch die Tagebücher in Vitrinen ausgelegt sind. In den kleinen, rechteckigen Heften fallen spontane Skizzen in kräftigen Rot-Schwarz-Kontrasten auf. Sie dienen als Rahmen für aufwendige Aufzeichnungen in hebräischer Schrift, die in diesem Kontext eine kaligrafische Ästhetik vermittelt. Der Clou hier: Sie sind wie ein kleines Geschenk (an sie selbst?) in rosa Stoff eingenäht. Biografischen Päckchen, die mit farbigen Kordeln und Bändern verziert sind.

Was ist außergewöhnlich an Bracha Lichtenberg Ettinger, kurz Bracha genannt? Als Autodidaktin ist die Künstlerin von Hause seit über 40 Jahren als Psychoanalytikerin und klinische Psycho-Therapeutin tätig. Bis heute. Auch als Forscherin mit Lehraufträgen in Oxford, auch als Gastprofessorin in der Schweiz und in Irland.

Eine ganz
eigen Technik

Erst 1981 begann sie mit künstlerischen Experimenten. Wie entstehen die verschwommenen Figuren (ohne Gesichtskonturen) oder Szenen von Soldaten mit Kanonenwagen aus dem Ersten Weltkrieg? Bracha entwickelte selbst eine singuläre Technik: Sie legte Seiten aus Büchern oder historische Fotografien (auch von ihren Eltern) auf den Kopierer, öffnete diesen während des Kopiervorgangs und ergänzte die unvollständige Kopie mit Übermalungen aus Tusche und Öl. Dadurch wirken viele Konturen verwischt oder wie unter einer Sandschicht begraben. Ebenso benutzte sie Asche des noch unfixierten Tonerpigments. Erst zehn Jahre später, in den 1990er Jahren, begann sie, mit Öl auf Leinwand zu malen. Auch heute noch mischt Bracha Asche auf Ölbilder bei. So wirken viele Exponate von Weitem so, als ob sie gewebte Stoffe verwendet hätte. Danach fügt sie feine Linien in unzähligen Schichten hinzu.

Bracha erklärt, dass sie sich enorm viel Zeit lasse und die Fertigstellung mancher Bilder mehrere Jahre dauere. Sie überzieht die Leinwand mit so vielen Punkten, dass sich am Ende Schemen abzeichnen, die sie zuerst gar nicht geplant hatte. Frauen-Motive und schwerelose Geister dominieren – manche Titel, wie Medusa, Eurydice, Helena und Rahel weisen auf antike, christliche Mystik oder Judaismus-Tradition.

Eine Eigenart auf Brachas Bildern: Auf den meisten Werken ist - hinter Nebelschwaden oder wehenden Gaze-Vorhängen - keine Person mit individuellen Gesichtszügen zu erkennen. Außerdem verbergen sich ihre Botschaften von Schmerz und Trost nicht hinter abstrakter Kunst, sondern ihre Malerei bleibt trotz verschwommener Konturen eindeutig figürlich. Und erzählt von Leiden und Pein. Man spürt, dass sie sich als Tochter von Holocaust-Überlebenden versteht, die für ihr Trauma und ihre Erinnerungen keine Sprache finden. Das sei ihre Aufgabe. Deshalb, so Bracha, kreist ihre Arbeit um „die Möglichkeit, die Zeugin von Zeugen“ zu sein. Diese „Mit-Zeugenschaft“ sei Bestandteil ihrer Malerei. So könnten ihre Gemälde „zum Verständnis erlittener Verletzungen“ beitragen. Ob das in der K21-Ausstellung gelingt, bleibt abzuwarten.

Ein Problem: die labyrinthische Beschriftung der Bilder. Eine Kolonne von Titeln untereinander lässt rätseln: Welche Titel gehören zu welchen Bildern? Da fällt die Orientierung schwer. Kann man nur hoffen, dass die Ausstellungsmacher diesen ausgesprochenen Schwachpunkt bis zur Eröffnung noch beseitigen.