Wer war, vor allem zu Karrierebeginn, ein musikalisches Vorbild? Oder gab es keins?
Nino de Angelo: Im Gegensatz zu meinen Schulfreunden war ich diesbezüglich immer etwas kommerzieller eingestellt: Smokie, Elvis, Adriano Celentano, die Bee Gees – das war die Musik, die ich gern gehört habe. Smokie war auch mein erstes Konzert, da war ich 15. Das waren so meine Vorbilder. Ozzy Osborne, Aerosmith – diese Musik habe ich erst vor etwa zehn Jahren für mich entdeckt und dann immer über die schönen Balladen. Und Neil Diamond – auch ein großartiger Musiker.
„Jenseits von Eden“ war Ihr großer Durchbruch und hat Ihre Karriere geprägt. Im Rückblick: Fluch oder Segen – oder beides?
de Angelo: Es war ein außergewöhnlicher Schlager. Damals wurde kaum noch Schlager gespielt, es war die Zeit der Neuen Deutschen Welle mit Nena, Trio und Markus. Und dann kam ich mit „Jenseits von Eden“. Ich glaube, den Song hat es auch gebraucht, um etwas Kontra zu geben. Mit der ganzen Orchestrierung hatte er etwas außergewöhnliches. Und leider ist der Text ja wirklich zeitlos und passt heute wie damals.
Sie haben sich über die Jahre immer wieder neu erfunden – von Schlager über Pop bis hin zu rockigeren Tönen. Was davon hat Sie musikalisch am meisten geprägt?
de Angelo: Schlager hat mich tatsächlich nie geprägt. Geprägt hat mich die Rockmusik. Schlager ist Unterhaltung und die sollte ja gar nicht so tiefgründig sein. Wobei es wunderschöne tiefgründige Schlager gibt, etwa Merci Chérie von Udo Jürgens. Den Song habe ich früher nie wirklich ernst genommen aber irgendwann im Rahmen einer Albumproduktion selbst eingesungen. Da erst habe ich die Kraft und Tiefe gespürt. Ähnlich geht es mir mit schöner Rockmusik. Für mich muss sie aber melodiös sein, mit Heavy Metal kann ich nicht viel anfangen. Und die Texte, die Zeilen sind mir wichtig. Ich probiere gern Sachen aus. Es gibt kein richtig und kein falsch. Wenn es Dich berührt, ist es genau richtig. Ich bin – was die Musik angeht – ein reiner Autodidakt und arbeite aus dem Bauch heraus und nach Gefühl.
Gibt es Künstler oder Bands, die Sie in den vergangenen Jahren besonders inspiriert haben?
de Angelo: The Weeknd finde ich sehr gut, die Discomusik ist schon geil. Das erinnert mich wieder ein bisschen an die Kommerzialität von ABBA. Ich mag die Melodien und die Art wie es umgesetzt ist. Aber auch Snow Patrol, Nickelback und Coldplay sind Bands, deren Musik mir richtig gut gefällt.
Wenn Sie heute auf Ihre gesamte Diskografie zurückblicken – welches Album oder welchen Song würden Sie als Ihr persönlich wichtigstes Werk bezeichnen?
de Angelo: Das ist das Album „Gesegnet und Verflucht“, denn es hat mein Comeback ermöglicht. Und als Song würde ich „Zeit heilt keine Wunden“ nennen. Aber auf dem neuen Album habe ich mich wieder übertroffen. Ich hing lange in der Luft mit den Texten und Songs und hatte am Ende 18 Stücke fertig, von denen es zwölf auf das Album „Irgendwann im Leben“ geschafft haben. Sechs musste ich rauswerfen und habe die genommen, die für mich nicht perfekt waren. Die brauchen noch Zeit, vielleicht werden sie später erscheinen. Ich höre mir jeden Titel drei oder vier Monate immer wieder an, bis er sich wie eine zweite Haut anfühlt, eben für mich perfekt. Auch die Reihenfolge des Albums bestimme ich maßgeblich mit. Dieses neue Album ist also ebenso mit mein wichtigstes Werk – und obwohl ich die Titelfolge mitbestimmt habe, höre ich es jetzt interessanterweise immer von hinten, also in umgekehrter Reihenfolge. Das fühlt sich für mich richtiger an.
Sie sagten, sie nehmen sich viel Zeit für jeden einzelnen Song. Wie entsteht ein Stück bei Ihnen überhaupt?
de Angelo: Das ist sehr unterschiedlich. Als Beispiel nehme ich vielleicht einmal den für das Album namensgebenden Song „Irgendwann im Leben“. Der hatte schon ein paar Jahre auf dem Buckel, ist vor etwa 20 Jahren entstanden. Ich fand das Stück immer gut aber die Verse gefielen mir nicht so. Jetzt war es aber die richtige Zeit, mit meiner heutigen Reife und Lebenserfahrung. Ich habe viele Verse rausgeworfen und neue geschrieben, bis es passte. Und es war mir sofort klar, dass das der erste Song sein muss, der als Single ausgekoppelt wird.
Ihr neues Album ist sehr persönlich und eher ruhig, nahezu autobiografisch. Es reflektiert eine Phase der Besinnung und Dankbarkeit. Was hat Sie gerade jetzt zu dieser tiefgründigen und persönlichen Thematik inspiriert?
de Angelo: Wenn man 61 Jahre alt ist und ins letzte Drittel des Lebens geht und so viel erlebt hat, wie ich und dann keine Dankbarkeit empfindet, dann sollte man sich schon fragen was los ist. Und ich bin sehr dankbar. Dafür, dass es mich noch gibt, für mein Comeback, dafür, dass ich das machen kann, was ich möchte. Das macht mein Leben wieder wertvoll und gibt ihm einen Sinn. Dass ich von der Großstadt ins Dorf gezogen bin, hat ebenfalls vieles in meinem Leben positiv verändert. Ich habe mir gesagt: Wenn Du noch mal angreifst, mach alles so wie Du es fühlst. Ich bin auch stolz auf mich, denn das traut sich nicht jeder. Und ich wollte es persönlich machen – nicht irgendetwas singen, was ich vertragsgemäß singen sollte.
In Ihren Songs geht es viel um Entschleunigung und das Genießen des Augenblicks. Hat sich diese Philosophie in Ihrer eigenen Lebensweise manifestiert?
de Angelo: Absolut. Ich lasse mir nicht mehr reinreden. Ich mache nur noch das, worauf ich Lust habe. Neben der kommenden Tournee habe ich beispielsweise nicht viele Termine angenommen. Ich brauche meine Ruhe, um zu tun, was ich jetzt tun will. Ich möchte keine Millionen mehr verdienen, aber schön leben können. Man besinnt sich auf das Wichtige. Ich war reich, ich war pleite – ich habe alles durch. Es gab Zeiten da konnte ich mir alles leisten und Zeiten, da musste ich, um vier frische Brötchen zu kaufen, erst einmal die Pfandflaschen wegbringen. Unterstützung finde ich bei meiner Lebensgefährtin Simone, die die erste ist, die mich so nimmt wie ich bin und mich einfach machen lässt.
Gibt es noch einen musikalischen Traum, den Sie sich erfüllen möchten?
de Angelo: Da gibt es noch einiges. Beispielsweise ein R&B-Album im Stil von Amy Winehouse mit richtig tollen Texten. Oder ein Swing-Album. Nicht erfüllen dürfte sich wohl der Traum von einem Duett mit Christian Aguilera. Dafür vielleicht eines mit einem der vielen Künstler aus Italien, die ich verehre: Vasco Rossi, Emma Marrone oder Gianna Nannini. Mit Jeff Lynne einen Song aufnehmen ist auch ein großer Traum und einmal Ozzy Osborne persönlich kennenlernen.
Nino de Angelo gastiert am 12. April in Düsseldorf und am 11. November in Wuppertal. Tickets und weitere Termine unter