König Schulz und Herr Campino Der Wahlkampf macht die Musik

Im Wahlkampf wird Musik von der Politik oft clever genutzt. Manchmal gegen den Willen der Künstler.

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Düsseldorf. Die Parteitagsregie der SPD hatte ganze Arbeit geleistet, als sie am Wochenende Martin Schulz weihevoll zu den Klängen von Coldplays „Viva la Vida“ in die Dortmunder Westfalenhalle einziehen ließ. Zumindest musikalisch transportierte das Arrangement aus orchestralen Glocken und Chorgesängen beinahe martialisch den Aufbruchsgeist der Genossen sowie die Entschlossenheit, sich bis zur Bundestagswahl am 24. September nicht kampflos geschlagen zu geben.

Ob Coldplay selbst sich in irgendeiner Weise mit sozialdemokratisch verstandener Gerechtigkeit oder anderen roten Kernbotschaften identifizieren können, ist nicht bekannt. „Die stimmungsvolle Melodie hat gut zum SPD-Parteitag gepasst“, begründete ein Sprecher aus der Parteizentrale in Berlin die Musikauswahl auf Anfrage unserer Zeitung knapp. Der Text kann es freilich auch nicht gewesen sein, würde dieser doch eher ein fragwürdiges Licht auf die Kanzleramtsambitionen von Martin Schulz werfen. „Revolutionäre warten darauf, meinen Kopf auf einem silbernen Teller zu sehen. Bin nur eine Marionette an einem einsamen Faden. Oh, wer würde jemals König sein wollen?“ singt Chris Martin in dem Song mit viel Raum für Interpretation.

Dabei ist es ein verbreitetes Phänomen, dass Vertreter der politischen Klasse von rechts bis links Popsongs für ihre Zwecke verwenden und diese mitunter gar gegen den Willen der Künstler instrumentalisieren. Im wahrsten Sinne des Wortes. Als die CDU 2013 im Freudentaumel ihres Wahlsiegs schwelgte, gab die Parteispitze lautstark „Tage wie diese“ von den Toten Hosen zum Besten. Sehr zur Verärgerung der Band, die mit ihrer Empörung nicht hinterm Berg hielt. Später soll sich Angela Merkel telefonisch für die nächtliche Gesangseinlage bei „Herrn Campino“ entschuldigt haben. „Das tut mir leid, dass wir auf Ihrem Lied herumgetrampelt sind“, habe die Kanzlerin selbstironisch Abbitte geleistet, plauderte Campino in einer Talkshow aus.

Mit der Ablehnung der oft eher links orientierten Kunst- und Kulturszene hat die CDU bereits Erfahrung. Denn auch Mick Jagger und Keith Richards hatten wohl anderes im Sinn, als sie die Rockballade „Angie“ schrieben, als Angela Merkel ein musikalisches Denkmal zu setzen. „Angie, oh Angie, when will all those clouds disappear?“ („Wann werden all diese Wolken verschwinden?“) sangen Mitglieder der Jungen Union 2005 aus vollem Hals — eine zeitlos aktuelle Frage auch im Hinblick auf die nächste Bundestagswahl. Eine Erlaubnis für die Nutzung des Klassikers hatten die Stones allerdings nicht erteilt.

Besonders empfindlich reagieren manche Künstler, wenn ihre Musik regelrecht für Propaganda-Zwecke rechtsextremer Parteien missbraucht wird. So erging es 2015 Schlagersängerin Helene Fischer, als die NPD ihren Gassenhauer „Atemlos“ im Wahlkampf spielte. Die Künstlerin ging juristisch erfolgreich gegen die zweifelhafte Verwendung ihres Songs vor und erwirkte vor dem Oberlandesgericht Thüringen eine einstweilige Verfügung gegen die Partei.

Die Bedeutung von Musik als dramaturgisches Stilmittel etwa bei politischen Veranstaltungen ist nicht zu unterschätzen, ist auch Professor Dieter Gorny überzeugt. Der Medienmanager hat den deutschen Musiksender Viva gegründet und gilt als versierter Branchenkenner. „Musik hat eine enorm stimulierende Wirkung auf uns. Das stellen Sie allein fest, wenn Sie sich mal einen Film ohne Musik anschauen.“ Diese Macht bewusst zu nutzen sei völlig legitim, so lange man die Rechte derer wahre, die sie geschaffen haben. Denn „Urheberrechte sind auch Persönlichkeitsrechte.“

Mit dem Schicksal der Vereinnahmung von der falschen Seite ist Helene Fischer derweil nicht allein — auch die Kölschen Urgesteine „Höhner“ und die Band „Wir sind Helden“ wehrten sich erfolgreich gegen die Darbietung ihrer Songs im braunen Dunstkreis der NPD. Dabei ist es für betroffene Künstler nicht immer einfach, sich gegen den Missbrauch ihrer Werke zu wehren, weiß Rechtsanwalt Andreas Buchholz aus Düsseldorf. „Bei der Frage, ob das Abspielen eines bestimmten Werkes bei öffentlichen Veranstaltungen rechtlich legitim ist, spielen zwei Faktoren eine Rolle: das Urheberrecht und die Lizenzsituation“, erläutert der Jurist.

Letzterer Aspekt erscheint zunächst unproblematisch, da der Großteil der Künstler über die Gema lizensiert ist, während der Künstler als Urheber die Rechte an seinem Werk besitzt. „Als solcher darf er auch bis zu einem gewissen Grad mitbestimmen, wie eine Darbietung seines Werks auszusehen hat und in welchem Rahmen es gespielt wird“, sagt Buchholz. Ob diese im Einzelfall gegen das Urheberrecht verstößt, sei allerdings in vielen Fällen Auslegungssache. „Das wird auch weiterhin die Gerichte beschäftigen.“