Düsseldorfer Oper Ein Abend in Düsseldorf, der an Martin Schläpfer erinnert

DÜSSELDORF · One and others – der Ballettabend in Düsseldorfs Oper am Rhein von Christopher Wheeldon, Demis Volpi und Sharon Eyal bietet viele Überraschungen. Und lässt einen schwelgen. Eine Kritik.

 „Salt Womb“ nennt das israelische Choreographen-Team Sharon Eyal und Gai Behar seine körperkraftbetonte Performance, das Ensemble Ballett am Rhein begeistert.

„Salt Womb“ nennt das israelische Choreographen-Team Sharon Eyal und Gai Behar seine körperkraftbetonte Performance, das Ensemble Ballett am Rhein begeistert.

Foto: Oper am Rhein/Bettina Stoess

Es dröhnt wie Techno im Nachtclub. Immer wieder die gleichen Schläge auf die gleiche Stelle. Die Tänzer – in warmes güldenes Licht getaucht – wippen in gegrätschter Beinstellung. Gut 30 Minuten bebt der Bühnenboden im Düsseldorfer Opernhaus, ohne Unterlass. Und die Tänzer, in einem Knäuel vereint, ziehen die Zuschauer mit – in einen Sog. Manchmal erinnert es an ein archaisches Kriegsritual, dann wieder an einen Party-Techno-Club, in dem ein Vortänzer die Meute mitzieht. Mancher mag auch ein Befreiungsritual denken – vielleicht eine Metapher für die Befreiung von den einschneidenden Corona-Regeln, die gerade erst am 2. April gefallen sind.

„Salt Womb“ nennt das israelische Choreographen-Team Sharon Eyal und Gai Behar seine körperkraftbetonte Performance, die besonders das junge Publikum im Düsseldorfer Opernhaus in Trance versetzt und ihm im Finale Johlen, Pfeifen und Jubel entlockt. Wie eine Mega-Party (freilich noch mit Maske) endet damit der neue Tanzabend des Balletts am Rhein, der unter „One and others“ firmiert – und damit unter dem Titel der Kreation von Demis Volpi. Ein Stück puren Tanzes, in dem sich der Rheinopern-Chefchoreograph von seinen wenig tänzerischen, überwiegend erzählerischen Werken befreit und beweist, dass auch er sich auf suggestive, starke Ballettmagie versteht.

Sie wird freilich getoppt von der Gast-Choreographie „Salt Womb“: Sie trifft, wie nur wenige Tanzstücke, den Nerv Zeit. Der nicht enden wollende Tanz auf dem Vulkan (auch nicht durch Putins Krieg zu stoppen?) beginnt mit dem mechanischen Wippen von muskelspielenden Rücken-Akten und Schenkeln. Nur langsam schälen sich aus der Traube von vibrierenden Athleten einzelne heraus – ein Kopf schüttelt, ein anderer neigt sich. Wenn zunächst unter den Peitschenhieben der Techno-Komposition von Ori Lichtik alle im Gleichschritt stampfen, so befreien sich dann doch einzelne Körper und geben den Ton an. Wenn auch ursprünglich für das Nederlands Dans Theater kreiert, so zeigt sich das Ballett am Rhein diesem Werk nicht nur gewachsen, sondern wirkt mit der Vielzahl von jungen Solisten besonders authentisch und vital.

Energetisch aufgeladen auch ein Streichquartett von Christos Hatzis, das Volpi seinem Opus „One and others“ (Einer und andere) unterlegt. Zu Beginn umarmt sich eine Frau selber in Einsamkeit, bevor zwei, drei, schließlich fünf Paare in immer wieder neuen Konstellationen vorüberziehen. Ihre Hebefiguren, gleitenden Schritte oder Drehungen in den Pas-de-deux sind ähnlich, doch jedes Paar bewegt sich anders. Mal in blitzartigen, mal in fließenden Bewegungen. Die sich reibenden, glühenden Violin-Akkorde lassen sich in den Körpern ablesen. Dann klopfen fünf Frauen mit den Spitzenschuhen auf den Boden und betonen, selbst im sonst lautlos schwirrenden Trippelschritt, das metallene Geräusch der Spitzenschuh-Kappe. Ein Bild, das verdächtig an Volpis Vorgänger Martin Schläpfer erinnert.

So auch die Tatsache, dass Volpi es hier weniger um eine Story geht denn um reinen Tanz, der sich auf die Musik bezieht – so lassen sich Tänzer von den Steigerungen ebenso inspirieren wie von den entspannenden Ruhe- und Adagio-Phasen des Streichquartetts.

Der Ballett-Dreiteiler (auch das erinnert an Schläpfer) beginnt mit „Polyphonia“ – einem modernen Klassiker neoklassischen Tanzes von Christopher Wheeldon. Die zehn Sätze aus unterschiedlichen Werken für Klavier von György Ligeti hatte der Brite Wheeldon vor 20 Jahren für das renommierte New York City Ballet in Tanzbilder gesetzt. Die elegante klassische Schule erkennt man eher in den langsamen, lyrischen Passagen. Hier brillieren die extremen Dehnungen von Ballerina Simone Messmer und ihrem Partner Nelson López Garlo. Die beiden laden ein, sich an perfekter Linienführung und federleichten Hebefiguren zu ergötzen.

Fazit: Ein spannungsreicher und vielseitiger Tanzabend, der in seinem Aufbau an Volpis Vorgänger Martin Schläpfer erinnert. Er könnte ein Zeichen dafür sein, dass Ballettchef Volpi lebendige, heutige Bewegungskunst im Blick hat, die sich im 21. Jahrhundert weiterentwickeln muss, um nicht zu reiner Museumskunst zu erstarren.