Theater Else und Pina im Hör-Schau-Spiel vereint
Roberto Ciulli, der Altmeister vom Theater an der Ruhr, bringt in Düsseldorf „Die Wupper“ als zu zähe Performance ins Central.
Düsseldorf. Er erzählt von Else. Von Elberfeld, ihrer Familie und ihren Träumen. Vom Veitstanz, der die Dichterin als Elfjährige quälte, und den man in seiner Heimat Italien mit Musik und Tanz heilt — mit dem Tarantella. Die Zuschauer suchen noch ihre Plätze im Central am Hauptbahnhof, da ist Roberto Ciulli schon mittendrin: im Kosmos von Else Lasker-Schüler. Zu seinen Füßen sitzen zwei Mädchen, deren Kostüme in die Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts weisen, in der „Die Wupper“, diese poetische Milieu-Beschreibung, entstand. Proletarier und Fabrikanten begegnen und verlieren sich — vor allem in ihren sexuellen Abgründen.
„Ich brachte wahrscheinlich mein Herz ins Fließen, als ich mein Schauspiel ,Die Wupper‘ schrieb. Es war in der Nacht, ich schlief, ja ich schlief. Mein Gehirn war also nicht imstande, mich zu dirigieren, den Takt zu meiner kleinen Erdkugel zu schlagen.“ Mit diesen Worten Lasker-Schülers führt Ciulli, der Altmeister vom Theater an der Ruhr, in seine Inszenierung, die er eine Performance nennt. Es ist eher ein Hörspiel, in dem 16 Schauspieler auf der Bühne über zwei Stunden kein einziges Wort sagen. Der Text kommt vom Band, bewegt sich als Sound im Raum und passt manchmal zu dem, was sich vor den Augen der Zuschauer abspielt. Oft zeigt Ciulli anderes. Einige irritiert das so sehr, dass sie lange vor Schluss das Theater verlassen.
In immer neuen Szenen bahnt sich die Inszenierung locker verbunden den Weg durch die Vorlage. Mal sitzen die Protagonisten schweigend im Stuhlkreis beieinander, mal verschwinden sie hinter einem blauen Klavier, um sich ihren pädophilen und masochistischen Vorlieben hinzugeben. Lasker-Schülers Gedicht „Mein blaues Klavier“ hat sie verfasst, als die Nazis die Dichterin ins Exil nach Zürich verbannt hatten. Ciulli lässt vieles auf der Bühne erscheinen, er deutet an und verweist. Einiges davon bleibt unverstanden, so dass sich die Verbindung zum titelgebenden Stück zu oft nicht erschließt.
Ciulli selbst tritt als alte Frau in Erscheinung, die im Programmheft die Initialen ELS trägt. Mal reicht diese Figur, die im Stück eigentlich nicht vorkommt, dem schwindsüchtigen Fabrikantensohn Eduard das Spucktuch, ein anderes Mal bahnt sie sich wie Pina Bausch in „Café Müller“ schlafwandlerisch den Weg durch aufgestellte Stuhlreihen. Ohnehin räumt Ciulli der zweiten großen Avantgarde-Künstlerin aus Wuppertal viel Platz ein in seiner Hommage an Else Lasker-Schüler. Das blaue Klavier steht inmitten blauer Blumen, was nicht nur an den titelgebenden Fluss erinnert, sondern auch an die Bausch-Choreographie „Nelken“. Angeführt von Ciulli setzen sich ein anderes Mal alle Schauspieler mit dem Blick ins Publikum in die Reihe. Sie schlagen die Beine übereinander, lassen die Hände auf den Knien wippen — auch diese Szene stammt von Pina Bausch.
Lasker-Schülers „Die Wupper“ ist sicher kein Sozialdrama, in dem sich die Klassen und Verhältnisse klar gegenüberstehen. Die Dichterin weist in Gefühlswelten, ins Verborgene und Verbotene. Ciulli ist mit seinem Abend diesem Weg gefolgt. Ihm dabei zu folgen, ist nur in manchen Momenten ein erhellendes Erlebnis.
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