Bärenreifes bei der Berlinale
Der Trend in den Festivalfilmen: Kinder müssen leiden, um uns die Übel der Welt vorzuführen.
Berlin. Das ist zynisch. Die Kugel durchschlägt den Hals des Mädchens in Zeitlupe. Gestochen scharf sind die Bilder, der Ton setzt aus, das Blut spritzt in formschönen Tropfen, die zur blauen Uniform der Klosterschülerin in ansprechendem Kontrast stehen.
In dieser Art stilisiert der chinesische Regie-Star Zhang Yimou 141 Minuten lang die Invasion japanischer Truppen 1937 in Nanking. Als westlicher Held darf sich Christian Bale („Batman“) in „Die Blumen des Krieges“ mit hübschen Chinesinnen umgeben, aus deren Mandelaugen Träne um Träne rollt.
Ein Propaganda-Werk, dem man wohlwollend Ironie unterstellen könnte. Der pathetische Schluss aber zeigt: Er meint es ernst mit nationalistischer Geschichtsbetrachtung.
Die Berlinale-Jury hat Glück: Yimous Werk läuft im Wettbewerb außer Konkurrenz und kommt daher für einen Bären nicht infrage. Nachdem gut die Hälfte der tatsächlichen Wettbewerbs-Beiträge über die Leinwand gegangen ist, lässt sich sagen: Viele Kinder mussten bislang kämpfen, leiden und sterben, um uns die Übel der Welt vorzuführen.
Am kunstvollsten ist das Billy Bob Thornton mit „Jayne Mansfield’s Car“ gelungen, in dem vier vom Krieg gezeichnete Söhne sehr subtil, in zum Teil surrealen Bildern und grotesk komischen Dialogen ihre Versehrtheit zeigen.
Ein Siegerfilm aus den USA? Das wäre für die Berlinale eine Sensation. Hier haben iranische, türkische oder peruanische Produktionen eher Aussichten auf Gold. Dafür spricht allerdings, dass Jury-Präsident Mike Leigh selbst ein Freund tragikomischer Momentaufnahmen ist.
Hoch gehandelt wird der deutsche Beitrag „Barbara“ von Christian Petzold. Das Porträt einer DDR-Ärztin (Nina Hoss), die die Flucht in den Westen plant und wegen eines schwangeren Mädchens bleibt, besticht durch konsequent atmosphärische Darstellung.
Es wird wenig geredet, das offensiv Nichtgesagte trägt diese von Misstrauen geprägte Stimmung der 1980er Jahre in einer untergehenden Diktatur. Hoss verkörpert es in jedem Blick, in jedem Abwenden und Durchdrücken ihres Rückens.
Deutlich schwächer fällt der zweite deutsche Film aus: Hans-Christian Schmid zeigt in „Was bleibt“ eine gut situierte Familie in ihrer Villa bei Siegburg. Die beiden erwachsenen Söhne verbringen ein Wochenende mit ihren Eltern (Corinna Harfouch, Ernst Stötzner).
Nach 30 Jahren hat die Mutter ihre Medikamente gegen Depressionen abgesetzt und möchte neu anfangen — mit einem klaren Blick. In dieser finanziell sorgenfreien Welt treten die gegenseitigen Verletzungen aus Jahrzehnten zu Tage.
Den ausgezeichneten Schauspielern fehlt es jedoch an passenden Dialogen. Allzu oft bewegen die sich auf Kalenderspruch-Niveau.
Hoffnungen auf den Silbernen Bären als beste Schauspielerin können sich Léa Seydoux und Agathe Bonitzer machen. Erstere ist gleich zweimal vertreten:
Im Eröffnungsfilm „Leb’ wohl, meine Königin“ ist sie die junge Vorleserin von Marie Antoinette, die sich ganz der Bewunderung ihrer Königin unterwirft und für sie in den Tod geht. In ihrer zweiten Rolle ist sie die überforderte Mutter eines Zwölfjährigen, der in einem alpinen Ski-Ort Geld und Essen stiehlt und damit beide durchbringt.
Regisseurin Ursula Meier, die einzige Frau unter den Wettbewerbs-Regisseuren, offenbart mit „Sister“ die Kluft zwischen Mitgliedern und Außenseitern einer wohlhabenden Gesellschaft.
Und schließlich wurde in „À moi seule“ ein Mädchen acht Jahre von ihrem Entführer gefangen gehalten. Agathe Bonitzer spielt die Folgen dieser Folter mit eindrucksvoller Intensität. Ein Leiden, das die Jury überzeugen könnte.