Edward Berger geht mit „Jack“ auf Bären-Jagd
Berlin (dpa) - Vierzehn Jahre nach seinem letzten Kinofilm und vielen Fernseharbeiten geht Regisseur und Autor Edward Berger mit seinem Spielfilm „Jack“ während der diesjährigen Berlinale auf Bären-Jagd.
Dass ihm dies gelungen ist, macht den 43-Jährigen einfach nur glücklich, wie er der Nachrichtenagentur dpa verriet.
Frage: Edward Berger, Sie erzählen in „Jack“ von einem vernachlässigten Zehnjährigen, der aus dem Heim wegläuft, dann zusammen mit seinem kleinen Bruder mehrere Tage umherirrt und nach der verschwundenen Mutter sucht. Was hat Sie dazu gedrängt, diese harte Geschichte zu erzählen.
Antwort: Vor vier Jahren habe ich mit meinem Sohn an einem Sonntagnachmittag Fußball gespielt. Da ging ein kleiner Junge mit Ranzen auf dem Rücken forsch und selbstbewusst vorbei und mein Sohn grüßte ihn. Er erzählte mir dann, dass der Junge Jack heißt, in die gleiche Klasse geht, in der Woche im Heim lebt und am Wochenende häufig seine Mutter besucht. Ich konnte den Jungen nicht vergessen. Sein Stolz, die Kraft, mit der er voranschritt, haben mich schwer beeindruckt. Diese Erinnerung steckt im Kern der Geschichte, die wir erzählen: eine Geschichte vom Glauben an das Leben, daran, dass die Zukunft ein gutes Versprechen ist.
Frage: Wie haben Sie recherchiert?
Antwort: Meine Kinder gehen mit Kindern aus Heimen zur Schule. Da gibt es enge Kontakte. Dazu sind wir in Heime gegangen, haben mit Kindern geredet, haben sie beobachtet, haben uns von ihren Sorgen und Hoffnungen erzählen lassen. Auf den ersten Blick wirken viele dieser Kinder sehr kraftvoll. Aber hinter den Kulissen sieht es oft ganz anders aus. Ein wichtiges Ergebnis der Recherchen ist, dass wir auf keinen Fall stigmatisieren wollen, nicht „auf die da“ zeigen. Deshalb haben wir auch nicht in irgendwelchen Randbezirken oder heruntergekommenen Gegenden gedreht. Kinder wie Jack kann man überall treffen, in jeder Fußgängerzone, auf jeder Einkaufsmeile.
Frage: Sie haben eine sehr stille, fast sanfte Erzählweise gewählt. Warum?
Antwort: Wir wollten einen Film machen ohne Fett, nur Haut und Knochen, karg und klar. Das Drehbuch habe ich gemeinsam mit meiner Frau Nele Mueller-Stöfen geschrieben und wir haben auch recht früh den Kameramann Jens Harant einbezogen. Zu dritt haben wir das Buch geformt, haben sehr genau überlegt, wie wir drehen, und uns dazu entschieden, ganz aus der Perspektive von Jack zu erzählen. Wir möchten ein Gefühl des Miterlebens von Echtzeit vermitteln.
Deshalb haben wir auch in langen Plansequenzen, also ohne viele Schnitte, gedreht. Uns lag von Anfang an daran, so wenig wie möglich zu manipulieren, keine Wertung vorzugeben, keine Lösungen. Wir wollen das dem Zuschauer selbst überlassen. Wir würden viel erreichen, wenn die Leute aus dem Film kämen und angesichts der Geschichte von Jack, der trotz aller Widerstände unbeirrt voran geht, über sich selbst nachdenken würden.
Frage: Wollen Sie mit ihrem Film auch ein Gesellschaftsbild entwerfen?
Antwort: Das passiert automatisch. Die Vernachlässigung von Kindern, das ist ja ein wichtiges und großes Thema, mit dem sich unsere Gesellschaft auseinandersetzen muss. Aber der Film soll keine Anklage sein, wir wollen nicht agitieren. Für uns steht hinter der Geschichte vor allem diese Frage: Was können wir uns von der Kraft des Jungen abgucken.
Frage: „Jack“ geht auf Bären-Jagd. Was bedeutet Ihnen das?
Antwort: Da kann ich nur sagen: Das ist wahnsinnig schön, wir freuen uns total. Es war ein unglaublicher Moment, als Anfang Januar die Nachricht vom Berlinale-Chef Dieter Kosslick kam. Der Wettbewerb bei einem der wichtigsten Filmfestivals der Welt ist ja wirklich eine Königskategorie. Wir sind einfach nur glücklich, dass wir dabei sein können. Für mich geht damit wirklich ein Traum in Erfüllung.
ZUR PERSON: Der gebürtige Wolfsburger Edward Berger studierte Regie an der New York University. Nach dem Studienabschluss 1994 sammelte er erste Erfahrungen als Mitarbeiter bei Projekten unabhängiger US-amerikanischer Produzenten, etwa bei Filmen der bekannten Regisseure Ang Lee und Todd Haynes. Seit 1997 lebt Edward Berger in Berlin. 1998 hatte er einen großen Publikums- und Kritiker-Erfolg mit seinem Spielfilm-Debüt „Gomez - Kopf oder Zahl“. Nach vielen Arbeiten für das Fernsehen ist der zusammen mit seiner Frau Nele-Müller-Stöfen entwickelte Film „Jack“ Edward Bergers dritter abendfüllender Kinospielfilm.