Kampf um Paris als Psychopoker: Schlöndorffs „Diplomatie“
Berlin (dpa) - Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff gilt als Experte für die Auseinandersetzung mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte. Vor allem mit der Verfilmung von Günter Grass' Roman „Die Blechtrommel“ setzte er international Maßstäbe.
In seinem neuen Film „Diplomatie“ greift der 74-jährige Regiestar ein Thema auf, das in Deutschland fast in Vergessenheit geraten ist - das dramatische Ringen um Paris im August 1944. Nach einem Theaterstück von Cyril Gély macht Schlöndorff daraus ein hochspannendes, brillant erzähltes Psychoduell zwischen zwei sehr unterschiedlichen Männern.
„Eigentlich hatte ich nie wieder einen Film über den Zweiten Weltkrieg und die Nazis machen wollen“, gestand der Regisseur vor der Berlinale-Premiere am Mittwochabend in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. „Aber ich liebe Paris. Es ging um eine Herzensangelegenheit, da konnte ich nicht Nein sagen.“
Hauptfigur ist der deutsche General Dietrich von Choltitz, großartig gespielt von Niels Arestrup („Schmetterling und Taucherglocke“). Angesichts des Vormarsches der Alliierten hat er von Hitler den Befehl: „Paris darf nicht oder nur als Trümmerfeld in die Hand des Feindes fallen.“ Sämtliche Brücken sind bereits vermint, auch der Louvre, Sacré-Coeur und der Eiffelturm sprengbereit - da gelingt es dem schwedischen Diplomaten Raoul Nordling (André Dussollier) in letzter Minute, den Stadtkommandanten von dem verheerenden Befehl abzubringen. Katastrophe abgesagt.
„Der Film ist weitgehend fiktiv, aber genau das hat mich gereizt“, erzählt Schlöndorff. „Dieser General hat bisher jeden Befehl skrupellos ausgeführt. Was hat ihn dazu gebracht, seine Meinung zu ändern? Das war der Freiraum, den wir ausfüllen konnten.“ Tatsächlich hat es mehrere Gespräche zwischen dem deutschen General und dem schwedischen Emissär gegeben. Im Film sind diese Treffen auf die letzten, alles entscheidenden Stunden verdichtet. „Es ist ein Pokerspiel um das Überleben von Paris. Einen höheren Einsatz hat noch kein Pokerspieler gehabt“, sagt Schlöndorff, der in jungen Jahren lange in Paris lebte und später Regieassistent von Louis Malle war.
In Frankreich ist die deutsch-französische Koproduktion seinen Angaben zufolge bei Vor-Aufführungen bereits auf ein gutes, sehr emotionales Echo gestoßen. Auch der Auslandsverkauf läuft gut. In Deutschland kommt der Film am 28. August in die Kinos - kurz nach dem historischen Jahrestag vom 25. August 1944. „Wäre die Situation anders verlaufen und Paris ausradiert worden - ich kann mir nicht vorstellen, was aus dem deutsch-französischen Verhältnis geworden wäre“, so Schlöndorff.
Durch einen ungewöhnlichen Zufall ist bei der Berlinale auch noch zweiter, völlig anderer Film des Oscar-Preisträgers vertreten. Erstmals seit 44 Jahren konnte seine Bertolt-Brecht-Verfilmung „Baal“ mit Rainer Werner Fassbinder in der Hauptrolle wieder gezeigt werden. Nach einer einzigen Ausstrahlung im Hessischen Rundfunk 1969 hatte die Brecht-Witwe Helene Weigel eine weitere Verwertung verboten.
Die Erben hoben den Bann jetzt auf - sie ließen sich von dem Argument überzeugen, dass der Film als einer der ersten Auftritte des 1982 gestorbenen Fassbinder auch dokumentarische Bedeutung habe. Der begnadete Filmemacher nahm mit der Figur das Baal praktisch sein eigenes ausschweifendes, erschöpfendes Leben vorweg. „Ich kenne den nicht, der diesen Film gemacht hat“, sagt Schlöndorff (74) über Schlöndorff (29). „Ich war verblüfft von meiner eigenen Radikalität, aber auch von der Intuition bei der Besetzung.“