Locarnos Leoparden für den Nachwuchs
Locarno (dpa) - Nachwuchsregisseure sind die großen Gewinner des 64. Internationalen Filmfestivals von Locarno. Der Goldene Leopard für den besten Film des Hauptwettbewerbs „Concorso Internazionale“ ging an die aus der Schweiz stammende argentinische Regisseurin Milagros Mumenthaler.
In ihrem Debütfilm „Abrir puertas y ventanas“ („Back to stay“) erzählt sie sensibel die dramatische Geschichte dreier halbwüchsiger Schwestern ohne Eltern.
Die deutschen Erwartungen blieben am Lago Maggiore unerfüllt. Etlichen mit deutscher Beteiligung gedrehten Filme waren Chancen eingeräumt worden, doch es gab lediglich einen „Pardino d'oro“, einen „Kleinen Leoparden in Gold“. Er wurde dem 26-minütigen Kurzfilm „Rauschgift“ des deutschen Regisseurs und Produzenten Peter Baranowski verliehen. Der von der Hochschule für Fernsehen und Film in München produzierte Film lief in der Studenten und Anfängern vorbehaltenen Festivalsektion „Pardi di domani“, „Leoparden von morgen“.
Immerhin noch eine „besondere Erwähnung“ der Jury gab es für die französisch-deutsche Koproduktion „Un amour de jeunesse“ („Eine Jugendliebe“). Der dritte Spielfilm der französischen Regisseurin Mia Hansen-Løve erzählt in poetischen Bildern eine eigenwillige Liebesgeschichte.
Die Entscheidung für Milagros Mumenthaler begründete der Vorsitzende der Jury, der portugiesische Produzent Paulo Branco, mit den Worten, das Drama sei „extrem filmisch für einen Erstling“. Das zielte auf den eleganten, feinsinnigen Erzählstil. Zusätzlich geehrt wurde der Film durch die Auszeichnung von Maria Canale, die die älteste der drei Schwestern spielt, als beste Schauspielerin.
Auch den Spezialpreis der Jury, einen Silbernen Leoparden für einen herausragenden Film, bekam mit dem Israeli Nadav Lapid ein Debütant. Sein Gesellschaftsdrama „Hashoter“ („Policemen“) beeindruckte mit facettenreichen Bildern aus dem komplizierten Alltag von Israelis und Palästinensern.
Der Rumäne Adrian Sitaru gehört ebenfalls zum Nachwuchs. Für seinen erst zweiten Spielfilm „Din dragoste cu cele mai bune intentii“ („Beste Absichten“) erhielt er den Silbernen Leoparden als bester Regisseur. Hauptdarsteller Bogdan Dumitrache wurde zudem als bester Schauspieler ausgezeichnet. Die rumänisch-ungarische Koproduktion spiegelt soziale Probleme in Rumänien.
Mit der Mehrzahl ihrer Entscheidungen beförderte die Jury des Hauptwettbewerbs die seit Jahren geführte Diskussion um die Frage, warum es überhaupt noch den Nachwuchswettbewerb „Cineasti del presente“ gibt. Dessen Existenz wurde durch die Entscheidungen der Hauptjury nahezu ad absurdum geführt. Die von dem deutschen Regisseur Christoph Hochhäusler geleitete „Cineasti del presente“-Jury vergab ihren Goldenen Leoparden an „L'estate di Giacomo“, das Spielfilmdebüt des Italieners Alessandro Comodin. Der Spezialpreis für das Drama „El estudiante“ (Argentinien) ehrte Santiago Mitre für dessen zweiten Spielfilm. Als besten Nachwuchsfilm kürte diese Jury das surreale Kindheitspanorama „Nana“ (Frankreich) von Regisseurin Valérie Massadian, ebenfalls eine Debütantin.
Neben dem starken Bekenntnis zum Nachwuchs gaben die Jurys ein eindeutiges Votum für sensible Inszenierungen ab. Alle Auszeichnungen unterstützen Filme fern der Muster des gängigen Unterhaltungskinos. Eindringlich betont wurde das von der Jury des Hauptwettbewerbs, in der auch die deutsche Schauspielerin Sandra Hüller saß, durch die Vergabe eines „Goldenen Leoparden als Spezialpreis der Jury“.
Mit dieser besonderen Auszeichnung wurde Shinji Aoyama für sein „bemerkenswertes Filmschaffen“ geehrt. Der Japaner zeigte in Locarno den lyrischen Jugendfilm „Tokyo Koen“. Verhalten und mehrdeutig nutzen seine Filme scheinbar kleine persönliche Geschichten, um die japanische Gegenwart zu spiegeln.
Sensible Erzählungen und stilistische Originalität zeichnet auch den Gewinner des Publikumspreises aus, per Umfrage ausgewählt aus den abends auf der Piazza Grande gezeigten Filmen: „Bashir Lazhar“ (Kanada). Regisseur Philippe Falardeau erzählt die Geschichte eines algerischen Immigranten in Montreal. „Bashir Lazhar“ ist typisch für den diesjährigen Festivaljahrgang: Der Anspruch der Filmemacher und der Wunsch des großen Publikums nach bewegenden, nachvollziehbaren Geschichten kommen wirkungsvoll zusammen.