Preview: Tatort "Aus der Tiefe der Zeit" fördert grausige Geheimnisse zutage
Eine grausame Vergangenheit kann die Gegenwart fatal beeinflussen - das zeigt der spannende neue „Tatort“. Regisseur Dominik Graf nimmt die Zuschauer in „Aus der Tiefe der Zeit“ mit auf eine makabere Reise durch ein schnelllebiges München.
München (dpa) - Lärmende Baustellen, Ärger um Nobel-Neubauten, Blender in der Schickeria: „Aus der Tiefe der Zeit“ zeichnet fernab von Oktoberfest und Marienplatz ein Bild von München, das aktueller und schärfer kaum sein könnte. Der „Tatort“ an diesem Sonntag (20.15 Uhr) im „Ersten“ zeigt eine schnelllebige, im Wandel begriffene Stadt.
Alteingesessene Bewohner werden durch Luxussanierungen und teure Neubauten verdrängt. In der Grube eines besonders spektakulären Bauvorhabens wird eine Leiche entdeckt. Doch der gewaltsame Tod des Architekten hat nur am Rande mit dem heftig umstrittenen Projekt zu tun. Ihre Ermittlungen führen die Münchner „Tatort“-Ermittler in die Vergangenheit der Familie Holzer, die in einer stattlichen Villa am Isar-Hochufer residiert.
Der als vermisst gemeldete Adoptivsohn der Familie wird bei nächtlichen Arbeiten tot auf der Baustelle gefunden. War es ein Raubmord? Oder fiel Florian Holzer den korrupten Machenschaften rund um ein millionenschweres Bauvorhaben zum Opfer, an dem auch sein Bruder Peter beteiligt war?
Auch Eifersucht halten die Kommissare für ein Mordmotiv, schließlich teilten die Adoptivbrüder die extravagante Event-Managerin Liz Bernard (Meret Becker) als Geliebte. Zudem galt die Liebe von Mutter Magda vor allem Florian. Erst als es weitere Tote gibt, wird nach und nach klar, dass die Wahrheit viel komplizierter und komplexer ist. Das scheinbar so heile Leben der schwerreichen Familie Holzer wird schließlich als Blendwerk entlarvt.
Bis in die NS-Zeit reicht das grausige Geheimnis, auf dem der Wohlstand der Familie rund um die schießfertige ehemalige Zirkusartistin Magda gründet. Auch Ivo Batic (Miroslav Nemec) wird mit seinen eigenen kroatischen Wurzeln konfrontiert - in Gestalt seines etwas zwielichtigen Landsmannes Ante (Misel Maticevic), der auf seinen Unterarm ein Emblem der faschistischen kroatischen Bewegung Ustascha tätowiert hat. Dem lapidar daher gesagten Satz „Essen muss der Mensch“ kommt am Ende größte Bedeutung zu.
Regisseur Dominik Graf lässt Batic und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) lange im Dunkeln tappen. Die Kommissare ermitteln fast rund um die Uhr mit großer Ernsthaftigkeit. Für Scherze und Anekdoten aus dem Privatleben bleibt in der komplexen Handlung kaum Zeit. Bildlich eindrucksvoll verweben der für seine Krimis vielfach ausgezeichnete Regisseur und sein Kameramann Alexander Fischerkoesen Vergangenheit mit Gegenwart.
Die Handlung um die Blender-Familie unterstreicht er, indem er grelles Licht und Blenden als zentrales filmisches Element einsetzt. Immer wieder lässt gleißendes Licht den Zuschauer die Augen ein wenig zusammenkneifen, Sonne blendet die Schauspieler, aufdringlich helle Neonlampen beleuchten das Büro der Kommissare und selbst bei Nachtaufnahmen sorgen Scheinwerfer oder der ungewöhnlich strahlende Mond für einen solchen Effekt.
Durch viele Rückblenden, Zwischenschnitte auf Baustellen oder einzelne Szenen, die mit Hilfe von Weißblenden zusammengeschnitten sind, verwebt Graf Geschehnisse, die zeitlich zwar nicht immer unmittelbar, aber dennoch ursächlich miteinander zusammenhängen. Durch diese Rück- und Einblendungen weist er auf die Schnelllebigkeit hin. Betont wird das auch durch schnelle Zooms auf Details, beschleunigte Aufnahmen vom Straßenverkehr oder schnell über die Stadt ziehende Wolken - eine Mischung, die ein hektisches Grundgefühl schaffen.
Wie nebenbei fängt Graf so das Bild einer sich ständig wandelnden Stadt ein: Überall lärmen Baustellen, steigende Mieten sind in aller Munde und Bürger protestieren gegen die Verdrängung aus ihrem Bezirk - die Gentrifizierung spielt eine zentrale Rolle. Nur am Anfang des Films wirkt die Umsetzung etwas konstruiert. Leitmayrs Suche nach seiner Übergangswohnung zieht sich hin und drängt dem Zuschauer das Nebenthema des Films förmlich auf.
Am Ende sind alle ratlos - kein Täter wird im Polizeiwagen abgeführt. Stattdessen bleibt eine völlig zerstörte Familie zurück, die buchstäblich vor den Trümmern ihrer Existenz steht.