"Tatort"-Kritik "Tatort: Stau": Mord im Schwaben-Express auf den Spuren von Agatha Christie

Im Stuttgarter Tatort "Stau" bleibt Lannert und Bootz nicht viel Zeit um ihren Fall zu lösen. Dabei geht's klassisch zu - eine willkommene Abwechslung zu den vielen Gesellschaftsdiskurs-Tatorten.

Kommissar Thorsten Lannert (Richy Müller) braucht für die Ermittlung im Stau die Unterstützung der Schutzpolizei.

Foto: Alexander Kluge

Ein regnerischer Herbstabend in Stuttgart: Feierabend, die Stadt macht sich auf den Heimweg. Doch ein Stau auf der Weinsteige macht den unterschiedlichsten Charakteren der Stadt einen Strich durch die Rechnung. Ein Wasserrohrbruch führt zu einer Vollsperrung der vielbefahrenen Straße. Kurz zuvor wird ein Mädchen in einem Wohngebiet tot am Straßenrand gefunden, alles deutet auf Unfallflucht hin. Die Kriminalhauptkommissare Thorsten Lannert (Ricky Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) sehen den Stau als einzige Chance den Unfallflüchtigen Täter noch zu fassen.

Der Tatort „Stau“ (nicht zu verwechseln mit dem Trash-Klassiker „Super-Stau“ mit Ralf Richter und Ottfried Fischer von 1991) ist ein Krimi in dem der Zuschauer mit den Ermittlern auf Täter- und Motivsuche geht. Die Handlung geht nicht — wie bei so vielen anderen Tatorten — an einem überambitionierten gesellschaftlichen Diskurs zugrunde. Der Zuschauer bekommt einen klassischen Kriminalfall zu sehen: Es geschieht eine Straftat, der Täter ist flüchtig, es gibt mehrere Verdächtige, die Kommisare müssen den Täter mit klassischen Verhörmethoden ermitteln.

Der Film ist sehr kurzweilig erzählt und funktioniert vor allem deshalb so gut, weil sich die Drehbuchautoren (Dietrich Brüggemann & Daniel Bickermann) an einem Klassiker von Agatha Christie orientieren. In Christies oft verfilmten Roman „Der Mord im Orient-Express“ muss der belgische Detektiv Hercule Poirot auf seiner Reise von Istanbul nach London einen Mordfall lösen. Während der Zug in Jugoslawien Aufgrund eines Schneesturms zum Anhalten gezwungen ist, wird ein Passagier ermordet. Der Täter kann den Zug nicht verlassen haben (Schneesturm). Detektiv Poirot muss jeden einzelnen Fahrgast befragen und seine Schlüsse ziehen.

Foto: Winfried Rothermel/dpa

In der schwäbischen Tatort-Variante wird aus dem exotischen Orient-Express ein Stau: eine Vollsperrung bringt den Verkehr auf der Weinsteige komplett zum erliegen. Niemand kann flüchten ohne sich verdächtig zu machen. Den Ermittlern bietet sich ein kurzes Zeitfenster um den Täter zu ermitteln. Die enorme Anzahl an verdächtigen macht es den Kommisaren allerdings nicht besonders einfach.

Der Schauspieler Richy Müller alias Tatortkommissar Thorsten Lannert.

Foto: Winfried Rothermel/dpa

Der Zeitdruck wird filmisch besonders gelungen umgesetzt, da der Tatort in Echtzeit gedreht ist. Aus dem brutalen Mord im Zug in Jugoslawien wird in Stuttgart ein Unfall mit Fahrerflucht. Zwischenzeitlich sieht es mal nach Sexualmord aus, das erübrigt sich aber schnell wieder. Kriminalhauptkommisar Thorsten Lannert (Ricky Müller) gelingt es schließlich im letzten Momnet, genau wie Detektiv Poirot in der berühmten Vorlage, die Täterin durch seine Theorie zu einem Geständnis zu bringen (im Orient-Express sind es selbstredend mehrere Täter).

Der gravierende Unterschied zum Agatha Christie: Lannert und Bootz helfen Smartphones und Dashcams maßgeblich bei den Ermittlungen. Den Autoren ist hier eine zeitgemäße und orginelle, über weite Strecken kurzweilige Adaption eines Kriminal-Klassikers gelungen.