"Wolf of Wallstreet": Idol der Selbstbereicherung

„Wolf of Wall Street“ ist Martin Scorseses wilder Ritt durch Betrug und Exzesse an der Börse.

Foto: Mary Cybulski/Universal

Düsseldorf. Als halbwegs zufriedener Normalverdiener hat man sich die Frage schon öfter gestellt: Was treibt Millionäre dazu, nachdem sie die erste, zweite und dritte Million gemacht haben, noch eine vierte, fünfte und sechste akkumulieren zu wollen? Martin Scorseses neues Epos „Wolf of Wall Street“ gibt darauf eine einfache und überzeugende Antwort. Es ist allein die Gier, die den Reichen nach noch mehr Reichtum streben lässt.

Für seine These hat Scorsese ein eindrückliches Fallbeispiel gefunden. Jordan Belfort heißt der Mann, der mit Börsengeschäften im zarten Alter von 26 Jahren bereits 49 Millionen Dollar in die eigenen Taschen gewirtschaftet hatte und Anfang der Neunziger durch seinen exzessiven Lebensstil von sich reden machte. Leonardo DiCaprio spielt diesen Mann ohne Gewissen mit einem unstillbaren Durst nach Geld, Drogen, Sex und Macht.

Neben Jordan sieht Gordon Gekko wie ein Waisenknabe aus. Mit dem Slogan „Gier ist gut“ hatte Gekko in Oliver Stones „Wall Street“ das marktwirtschaftliche Bereicherungsprinzip propagiert. Jordan geht einen Schritt weiter, indem er Gier zum obersten Lustprinzip erklärt. Nachdem der aufstrebende Broker im Zuge des Börsencrashs von 1987 seine Stelle bei einer angesehenen Investmentfirma verloren hat, zieht er in Long Island einen eigenen Laden auf, der mit zweifelhaften Investitionsmodellen und hohen Kommissionsraten den kleinen Leuten im großen Stil das Geld aus der Tasche zieht.

Jordan und sein stetig wachsender Pool an Mitarbeitern sind der Meinung, dass sie sehr viel besser als ihre Klienten wissen, was mit deren Geld zu tun ist. Und sie hauen es nach besten Kräften auf den Kopf: Riesige Villa, eigener Hubschrauber, schicke Jacht, kiloweise Kokain und andere Drogen, Prostituierte, wilde Betriebsfeiern, bei denen als Gipfel der Dekadenz Zwerge durch die Luft geschossen werden.

Scorsese inszeniert die Finanz-Satire über den Aufstieg und Fall des uneingeschränkt selbstsüchtigen Börsenhais als wilden cineastischen Ritt, dessen 180 Kinominuten wie im Flug vergehen. „Wolf of Wall Street“ will das Publikum hineinziehen in diese exzessive Welt, in der die Protagonisten ohne moralischen Kompass agieren. Ein Film wie ein saftiges, blutiges Steak und in seiner enormen Wucht vielleicht nicht jedermanns Geschmack.

DiCaprio spielt in seiner fünften Zusammenarbeit mit Scorsese den skrupellosen Finanzmakler als selbstgefälligen Sektenführer, der sich von seinen Mitarbeitern wie der Heiland der Selbstbereicherung feiern lässt, so faszinierend und zugleich abstoßend, dass er dafür gerade mit einem Golden Globe ausgezeichnet wurde. Auf eine Läuterung oder Bestrafung der Figur verzichtet der Regisseur.

Die moralische Einordnung muss das Publikum selbst vornehmen, was für einen amerikanischen Film alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist. „Wolf of Wallstreet“ ist ein amerikanisches Epos über die Habgier als treibende, selbstzerstörerische Kraft unserer Gesellschaft. Seine radikale Kompromisslosigkeit entwickelt der Film gerade durch seine cineastischen Verführungsfähigkeiten und die geradezu unverschämte Unterhaltsamkeit, mit der hier existenzielle Probleme unserer Zeit verhandelt werden.