Als Palmyra noch stand - Ansichten einer Phantomstadt

Köln (dpa) - Im September 1787 bekommt Johann Wolfgang von Goethe während seiner Italienischen Reise etwas ganz Besonderes zu sehen: „Arbeiten eines geschickten Architekten, der selbst in Palmyra war und die Gegenstände mit großem Verstand und Geschmack gezeichnet hat“.

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Geradezu euphorisch schwärmt der Dichter von den Zeichnungen jener „wichtigen Ruinen“ aus den Weiten der syrischen Wüste. Die Darstellungen des Franzosen Louis-François Cassas (1756-1827) sind jetzt in Köln ausgestellt.

Als die Planungen für die Ausstellung im Wallraf-Richartz-Museum Anfang des vergangenen Jahres begannen, stand Palmyra noch. Inzwischen hat die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) die wichtigsten Bauten der Oasenstadt gesprengt. In einer Beilage zum Ausstellungskatalog gibt der Kunsthistoriker Horst Bredekamp einen genauen Bericht des Vernichtungswerks. Demnach sind mittlerweile nicht nur die beiden weltberühmten Tempel zerstört, sondern auch der mittlere und südliche Bogen der schon von Goethe beschriebenen Säulenstraße.

Die Zerstörung der Baudenkmäler ging einher mit der Ermordung von Menschen. So wurde der 81 Jahre alte frühere Chef-Archäologe von Palmyra, Khaled Asaad, als „Direktor der Götzen“ enthauptet. Trotz des Vorrückens der IS-Truppen hatte sich der Experte geweigert zu fliehen. Im Amphitheater von Palmyra wurden Regierungssoldaten öffentlich hingerichtet. Drei Menschen kamen nach Angaben Bredekamps durch die Sprengung antiker Säulen zu Tode, an denen sie vorher festgebunden worden waren. Palmyra dürfte dem IS besonders verhasst sein, weil dort griechische, römische und persische Einflüsse zu einem ganz eigenen Stil verschmolzen. Die syrischen Archäologen in Palmyra arbeiteten mit Kollegen aus aller Welt zusammen.

Den einzigartigen Stil-Mix von Palmyra zeigen auch die 40 Zeichnungen, die von Freitag an in Köln besichtigt werden können. Cassas gab die Ruinen mit der Genauigkeit des Architekten wieder und rekonstruierte gleichzeitig mit großem Sachverstand ihr ursprüngliches Aussehen. „Außerordentlich schön“, fand Goethe. Aufgrund solcher Zeichnungen war Palmyra um 1800 schon europaweit bekannt. Friedrich Hölderlin dichtete: „Ihr Städte des Euphrats! Ihr Gassen von Palmyra! Ihr Säulenwälder in der Eb'ne der Wüste, was seid ihr?“

Auf den jetzigen Besucher, der um die Vernichtung des Weltkulturerbes weiß, haben die Zeichnungen zwangsläufig eine schockierende Wirkung. Für den Kurator Thomas Ketelsen sind die ausgestellten Zeichnungen nun so etwas wie Grabmonumente oder Todesanzeigen. „Seit August 2015 ist Palmyra nur noch eine Phantomstadt, die in der Erinnerung lebt, ein Konstrukt“, sagt er. „Das wirkliche Bild Palmyras ist für immer ausgelöscht.“

Bredekamp will sich damit allerdings nicht abfinden. Er plädiert in seinem Essay für eine „kämpferische Reproduktion“ der archäologischen Stätten, sobald der IS wieder aus Palmyra vertrieben ist. „Gegenüber den Zerstörungen des IS sollte die Kunst der Reproduktion triumphieren“, fordert Bredekamp. Der generelle Vorbehalt gegen solche Nachbauten - dass sie eine Art Geschichtsklitterung darstellen - kann ihn nicht überzeugen. In diesem Fall wäre eine Reproduktion ein „Manifest des Widerstands“ gegen den IS, und darin „läge ein eigener, unverwechselbarer kulturpolitischer Wert“.