„art Karlsruhe“: Die Banalität des Kohlkopfes
Karlsruhe (dpa) - Eine großes türkisfarbenes Tuch, darunter ein schmiedeeisernes Bügeleisen festgeknotet an einer blau-rosa Wollkordel. Die Kordel scheint Meter vor dem Tuch zu schweben - so plastisch und dreidimensional, als stünde man in echt davor.
Auf Leinwand gezogen sieht es aus wie ein hyperreales Gemälde im Stile Gerhard Richters. Aber es ist kein Gemälde. Es ist auch kein 3D-Bild. Es ist ein Foto. Von Dieter Nuhr, dem Weitgereisten, dem Schriftsteller, dem Kabarettisten. Und dem Künstler, der von Donnerstag auf der Kunstmesse „art“ in Karlsruhe ein knappes Dutzend seiner Werke zeigt, die es inzwischen auch längst in Museen geschafft haben.
Seine Fotos zeigen kleine Details, winzige Ausschnitte aus großen Welten. Baumelnde Stromkabel vor rissigen Wänden, von denen der Putz blättert: „Baku“. Zwei Fleischerhaken an einer Holzleiste vor abgeschabter Mauer, die ins Grünlich-Türkise spielt: „Nyaung“. Seine Fotos tragen keine Titel, sondern Namen von Orten. Sie zeigen keine Menschen, sondern deren Hinterlassenschaften. Jedes Werk ist ein Unikat, mehr als einen Abzug gibt es nicht.
Überhaupt Fotokunst: Sie gehört in diesem Jahr zu den Juwelen der „art“. Eine der beiden diesjährigen Sonderschauen beschäftigt sich mit dem Expressionisten Ernst Ludwig Kirchner unter dem Titel „Der Maler als Fotograf“. Kirchner benutzte die Fotografie als Dokumentation ebenso wie als Inspiration und verstand die Fotos seiner Werke wiederum als künstlerisches Statement, dem er viel liebevolle Aufmerksamkeit widmete.
„Hier greifen die Medien beeindruckend ineinander“, erklärt Thorsten Sadowsky, Direktor des Kirchner Museums Davos, am Beispiel des Gemäldes „Die Reiterin“: Kirchner lichtete zuvor eine junge Frau auf einem Pferd aus verschiedenen Winkeln ab, fertigte danach zig Skizzen an und malte schließlich das großformatige Bild. Flächig, ohne Tiefe und doch von allen Seiten.
Die Kölner Galerie Burkhard Arnold, die sich als eine Art Pionierin seit über einem Vierteljahrhundert der Fotokunst verschrieben hat, punktet mit Werken von Thomas Kellner. Der 1966 geborene Künstler fotografiert analog und auf Filmstreifen hintereinander weg. Es entstehen aus zahllosen Kleinbildnegativen neu zusammengesetzt Fotos berühmter Gebäude wie dem Eiffelturm: Sie scheinen zu tanzen oder drohen zusammenzubrechen. „Fotokunst ist in Europa immer noch eine Nische für die Sammler“, erklärt Galerist Burkhard Arnold. In diesem Jahr ist er mit kleinpreisigeren Werken nach Karlsruhe gekommen.
Natürlich widmet sich die 13. „art“ wie jedes Jahr auch der Gegenwartskunst und skulpturalen Werken. Letztere nehmen viel Raum ein auf den 19 großzügigen Skulpturenplätzen in den vier Hallen. Der Betrachter steht vor einem großen Edelstahlgebilde, bei dem eine Figur auf einem Stein zu sitzen scheint. „Nuage“ (Wolke) heißt das Werk des Katalanen Jaume Plensa, und so wirkt es auch: Nicht massig, sondern filigran setzt sich die Skulptur aus Buchstaben und Zeichen der Weltalphabete zusammen, durchbrochen, lichtdurchflutet, kontemplativ und beruhigend.
Eher verstörend dagegen die Kunst der britischen Bildhauerin Laura Ford mit einer Figurengruppe zweier kleiner Mädchen im tiefrosa Kleidchen, mitten in der Bewegung erstarrt, fast schon verkrümmt. Sie tragen schwarze Ganzkopf-Masken mit Sehschlitzen, ihre mit den Worten „Love“ und „Hate“ bedruckten Fäustchen umklammern Steine zum Wurf bereit.
Auf jeden Fall sehenswert ab Freitag und Samstag: Die Live-Performances des chinesischen Künstlers Han Bing „Walking the Cabbage“. Der Künstler zieht auf einem Rollbrettchen oder einfach auf dem Boden schleifend einen Kohlkopf hinter sich her. In China, wo er den Kohl wie einen Hund auf der Straße, in Bus und Bahn und überall spazieren führte, wollte man ihn schon für verrückt erklären, erzählte er der „New York Times“. In Karlsruhe wirft er damit einen ironischen Blick auf die Kunst und alles, was uns lieb und wert ist.