Ausstellung in Hagen zeigt "Entartete Kunst": Auferstanden aus Ruinen

Osthaus Museum Hagen zeigt den „Berliner Skulpturenfund“, der bei U-Bahn-Bauarbeiten am Roten Rathaus entdeckt wurde

Foto: Tobias Roch

Hagen. Kunstgeschichte kann richtig spannend sein. Bei Bauarbeiten an der U-Bahn vor dem Roten Rathaus in Berlin machten Archäologen im Jahr 2010 einen spektakulären Fund. Sie dachten zunächst an mittelalterliche Relikte. Dann aber stellte sich heraus, dass es sich um 16 Skulpturen der Klassischen Moderne handelte.

Stark beschädigt waren sie kaum noch zu erkennen. Wie aber kamen sie an den Fundort? Anfangs vermuteten die Experten, die Kunstwerke hätten dem Anwalt Erhard Oewerdieck gehört, der während des Dritten Reiches Juden zur Flucht aus Deutschland verholfen hatte. Seine Kanzlei befand sich im Haus Königstraße 50, das vor dem Krieg an der Stelle stand, wo man jetzt die Ausgrabung gemacht hatte.

Dann aber stellte sich heraus, dass das Reichspropagandaministerium an dem Ort ab 1942 einen Lagerraum hatte. Die 16 Skulpturen waren bei der Aktion „Entartete Kunst“ von den Nazis in Museen konfisziert und in der Hauptstadt eingelagert worden. Der beispiellose Fund ging vor vier Jahren durch die Medien und danach als Wanderausstellung durchs Land. Nach Stationen in Hamburg, Halle, München, Würzburg, Schleswig und Paderborn gastiert „Der Berliner Skulpturenfund“ jetzt in Hagen im Osthaus Museum.

Befinden sich doch auch Werke der drei Hagener Künstler Milly Steger, Will Lammert und Karel Niestrath darunter. Gut ein Dutzend Plastiken der drei aus dem Besitz des Hauses ergänzen die Ausstellung, die sinnigerweise im Untergeschoss des Museum zu sehen ist. Aus dem Bombenschutt des Krieges geborgen, auferstanden aus Ruinen, finden sie neue Aufmerksamkeit.

Auf eine Restaurierung wurde weitestgehend bewusst verzichtet, so dass Richard Haizmanns „Figur“ (1925), Fritz Wrampes „Reiter“ (1934) oder Edwin Scharffs „Bildnis der Schauspielerin Anni Mewes“ (1921) wie archaische Funde aus der Vorzeit anmuten. In Hagen wurden 1937 sage und schreibe 500 Werke beschlagnahmt. Der damalige Museumsleiter Gerhard Brüns dokumentierte sie in Fotoalben, die in der Schau ebenfalls präsentiert werden.

Viele der Skulpturen waren seinerzeit in der Wanderausstellung „Entartete Kunst“ zu sehen, in der moderne Meisterwerke von den Nazis als primitive Auswüchse einer kranken Natur diffamiert wurden. Otto Freundlichs „Kopf“ und Marg Molls „Tänzerin“ waren zudem Requisiten in dem Propagandafilm „Venus vor Gericht“ (1941) und standen darin in einer jüdischen Kunsthandlung. Ausschnitte des Films werden im Osthaus Museum gezeigt und jagen dem Betrachter einen leichten Schauer über den Rücken.

Mag die Schau quantitativ auch überschaubar sein. Sie erzählt eine Geschichte und schafft Bewusstsein. Was will man mehr?