Die Villa wird zum Bunker
Der amerikanische Konzeptkünstler John Baldessari hat das Krefelder Museum Haus Lange verrammelt und ans Meer verlegt.
Krefeld. Ein bisschen gewundert haben sich die Krefelder schon. Jüngst war ihr architektonisches Prunkstück Haus Lange plötzlich mit Brettern verriegelt, verrammelt und vernagelt, so dass manch argloser Passant bereits das Werk von Banausen vermutete oder den jüngsten Streich der beflissen sparenden Lokalpolitik.
Doch mitnichten: Ein Schelm hat Einzug gehalten, um das berühmte Werk des Bauhaus-Meisters Mies van der Rohe lustvoll ins Gegenteil zu verkehren. Der amerikanische Konzeptkünstler John Baldessari ersetzt Transparenz durch Abschottung, Strenge durch Spielerei. In seinem Entwurf hat Haus Lange keine Fenster, die Villa wird zum Backstein-Bunker. Sein "Contra-Mies" ist ein irritierender Affront und zugleich so charmant, dass einem fast die Spucke wegbleibt, spätestens wenn man das vertraute Gebäude betritt.
Den charakteristischen Backstein der Außenwände hat Baldessari per Fototapete auch nach innen übertragen. Dem sonst sonnendurchfluteten Haus raubt er jeden Hauch von Tageslicht. Nicht nur Baldessari selbst fühlt sich an ein Gefängnis erinnert und schlägt mit recht eigenwilligem Humor vor, hier könne man künftig die Häftlinge aus Guantánamo unterbringen.
Eine schöne Aussicht hätten sie jedenfalls, denn in die Fensterrahmen hat der Künstler großformatige Fotos einspannen lassen, entstanden nahe seiner kalifornischen Heimatstadt Santa Monica: Felsen und Kiefern, ein Flachbau mit einem roten Pickup-Truck davor, natürlich Strand, Meer, Wellen und Surfer. "Mit Kunst haben die Bilder nichts zu tun, sie haben keinerlei Wert", findet Baldessari. "Es sind Touristenfotos."
Das mag stimmen, doch durch ihre Anordnung bekommen sie Bedeutung: Haus Lange hat nun eine See- und eine Landseite. Auf Bauhaus-Stühlen schaut der Besucher hinaus auf den Pazifik. Das müssen die "excellent views" sein, die im Ausstellungstitel versprochen werden. Er ist formuliert wie der Text einer Kleinanzeige: "Backsteingebäude, große Fenster mit exzellenter Aussicht, teilmöbliert, namhafter Architekt". Mehr Ironie geht nicht.
Damit der Besucher das auch gleich erkennt, hat Baldessari das Fenster über dem Eingang mit Lichteffekten und angeklebter Braue in ein zwinkerndes Auge verwandelt. Die anderen Partien des Schelmengesichts findet sich innen - als Ohrensofa und Nasenvasen, in denen Kirschzweige ihre Blüten gen Pop Art und Kitschfantasie ausstrecken.
Dem Museumsdirektor Martin Hentschel ist mit der Ausstellung ein Coup gelungen, der zweite in Folge nach der Gursky-Retrospektive. Denn erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass John Baldessari in Venedig den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk erhält. Warum die Biennale-Leitung den 77-Jährigen als herausragenden Meister der visuellen Kunst ansieht, erschließt sich in Krefeld auf den ersten Blick.
So unmittelbar seine Installation wirkt, so geradeheraus und direkt ging der Künstler an die Vorbereitung der Ausstellung. "Nachdem er Haus Lange vor zwei Jahren besichtigt hatte, kam eine Mail mit fünf kurzen Sätzen, was wir nun alles zu tun hätten", erzählt Martin Hentschel. Aus der Ferne verfolgte Baldessari, wie Museums-Mitarbeiter und Krefelder Handwerker seine Ideen in die Tat umsetzten. Sie haben hohen Aufwand betrieben und ganze Arbeit geleistet.
Präzise und wirkungsvoll ist Baldessaris Werk, auf den Punkt inszeniert mit Lust an ironischer Brechung und einem sehr amerikanischen Gespür für Effekte. Seine Rebellion gegen die klar definierte Welt des Mies van der Rohe ist nie verbissen, er nutzt sogar die Mittel des Meisters, um dessen Konzepte auf den Kopf zu stellen. Der Backstein, die Fensterrahmen, der idyllische Ausblick - Baldessari macht sie sich zu eigen und baut auf die Gnade des großen Architekten: "Ich hoffe, er spricht noch mit mir, wenn ich ihn oben im Himmel treffe."