Düsseldorfs Akademie-Talente
Ab Mittwoch öffnen 450 Studenten ihre Ateliers und zeigen neue Arbeiten. Wir geben einen Überblick über die Leistungsschau.
Düsseldorf. 450 Kunststudenten haben wochenlang gemalt, gehämmert, gesägt und gegossen. Und wieder werden 20 000 Besucher erwartet, um die Ergebnisse der Avantgarde zu bewundern. Keine Kunstschau ist so beliebt wie der Rundgang. Mit Kind und Kegel kommen Galeristen wie Laien angereist, um zu schauen.
Die kreative Jugend reagiert nicht auf politische Umbrüche und nicht auf Werteverfall. Für sie gibt es auch keine Kunstmarktkrise, die frische Ware wird ihnen oftmals aus der Hand gerissen. Florian Meisenberg zeigt in der Peter Doig-Klasse ein Panorama aus phantastischen Schmetterlingen, Käfern und sonstigen Flügelwesen. Ein Chaos-Bild komischer Tierchen, aber zugleich eine zauberhafte Farb-Symphonie. Von Angst und Trauer ist nichts zu spüren, eher von Heiterkeit und Leichtigkeit.
Eine Ausnahme ist Helena Parada (Doig-Klasse). Sie malt ihre Kommilitonen frei nach Holbeins berühmtem Doppelportrait der "Gesandten", aber übersetzt es in unsere Zeit. Die jungen Leute vor dem Rundfenster mit Blick zum Hofgarten gehören zur Turnschuh-Generation. Der farbenfrohe Realismus täuscht jedoch, an der Bildwand hängt ein Skelett. Ein Memento mori also auf zwei junge Leute in der Blüte ihres Lebens.
Die Grundstimmung in der Kunstakademie ist jedoch positiv. Andreas Schulze, Nachfolger des verstorbenen Jörg Immendorff, ließ den Boden in der Klasse weiß streichen. Tabula rasa. Alex Gegia zeigt zwar eine Frau mit nacktem Hintern, aber die Frau schaut so verängstigt aus dem Bild, dass der Betrachter den Affront dieser Szene übersieht.
Typisch für den neuen Geist im Klassenraum ist Jan Ole Schiemann, der die Spannung zwischen konstruierten und improvisierten Farbelementen brillant löst. Keine Politik also, kein Versuch zum Aufbruch in eine neue Zeit, sondern zauberhafte Farbklänge.
Zum letzten Mal führt Rektor Markus Lüpertz (68) den Rundgang an, bevor er sich im Sommer verabschiedet. Wie ein Rammbock steht vor seiner Klasse Josef Werners neuer "Denker" frei nach Rodin. Der Junior leistete sich den teuren Bronzeguss, der auch noch farbig patiniert wurde. Wie bei Rodin sitzt auch Werners Kerl auf einem Sockel, den Rücken gebeugt, den Kopf auf die Hand aufgestützt.
Aber er trägt Boxhandschuhe, Motorradhelm und Harlekin-Kostüm. Die Füße stecken in goldenen Siebenmeilenstiefeln, die ihm hoffentlich Zauberkraft verleihen. Der Schöpfer und sein Produkt scheinen für die raue Atmosphäre außerhalb der Akademie gewappnet zu sein.
Denn eines ist klar: Wer auf dem Rundgang Aufmerksamkeit erzielt, findet sich leichter auf dem Kunstmarkt wieder. Überall liegen Visitenkarten und Mail-Adressen aus. Die Leistungsschau ist auch Verkaufsschau fürs Schönste und Beste. Diesem Rummel widmet Sven Weigel aus der Rosemarie Trockel-Klasse eine herrliche Persiflage.
Er präsentiert den Auftritt einer Vase. Rank und schlank, steht sie - ein Prototyp der 50er Jahre - auf weißem Sockel im Rampenlicht. Ein Video-Apparat überträgt ihr virtuelles Bild auf einen Bildschirm. Dazu ertönen betörende Sphärenklänge von Giacinto Scelsi. Weigels Zimmernachbar Michael Pirgeles entlieh sich den Heckflügel eines Flugzeugs, schnitt dafür den Fensterrahmen des Akademieraums auf und transportierte ihn mit einem Kran ins Innere.
Dort liegt er wie eine gestrandete Riesenflunder. Zwischen dem Musik-Rausch für die Vase und dem Scheitern des fluguntauglichen Flügels ist es nur ein kleiner Schritt.
Spannend sind die Bildhauer-Klassen. Heiko Räpple (Didier Vermeiren) präsentiert das ABC der dreidimensionalen Kunst in einer museumsreifen Schau. Hier geht es um Schweres und Leichtes, Relief und Standbild, Schalung, Abguss und Krümmung. Rzayev Suleyman (Tony Cragg) präsentiert einen Löwenkopf aus glasierten Tonschindeln.
Der Schädel sieht provisorisch aus, die ursprünglich feuchten Scheiben wurden mit Holzstücken aneinander gedrückt und dann gebrannt. Leunora Salihu baut aus gebrannten Tontalern oder geleimten Schichtholzplatten eine in sich stimmige Architektur, von der man sich wünscht, dass sie eines Tages in die Realität übersetzt werden kann.
In manchen Klassen wie der des Konzeptkünstlers Christopher Williams (Fotografie) wird geforscht, in neuen Werkstätten. An einer langen Schultafel hängen keine großformatigen Fotos, sondern Dokumente, Texte, Buchseiten und Internet-Bilder. Alle 26 Studenten erhielten Tische mit Glasplatten, unter denen ihre ersten Arbeitsergebnisse liegen.
In der Klasse Martin Gostner betört eine zugleich gewaltige und filigrane Wandarbeit von Johanna Flammer. Ein Organismus kleiner und größerer Zellen wuchert über den weißen Kalk und erzeugt eine Stimmung des Morbiden und Vergänglichen. Tritt man näher an die Arbeit heran, sieht man Collage-Fotos kolorierter Haare zwischen der Malerei. Geht man ein paar Schritte zurück, entdeckt man lauter Rätsel, die sich nicht lösen lassen.
Es gibt nicht die geniale Klasse bei diesem Rundgang, aber einige Künstler begreifen, dass hier mehr auf dem Spiel steht als der schöne Schein.