Doppelschau für Ellsworth Kelly
München (dpa) - Ellsworth Kelly gilt als einer der wichtigsten zeitgenössischen US-amerikanischen Künstler überhaupt. Als Maler und Objektkünstler hat er sich mit seinen großflächigen, abstrakten Gemälden, streng geometrischen Formen und knalligen Farben weltweit einen Namen gemacht.
Kein Wunder also, dass sich in München gleich zwei große Retrospektiven dem Werk des US-Amerikaners widmen, der auch mit 88 Jahren noch immer in keine Schublade passen will.
Auf Kellys Werk in Schwarz und Weiß konzentriert sich das Haus der Kunst. Er ist zwar „der Großmeister der Farbe“, wie er auch bei der Gestaltung der Donnerstagsausgabe der Zeitung „Die Welt“ bewies. Doch „die schwarz-weißen Arbeiten bilden nicht mehr und nicht weniger als das Rückgrat seines künstlerischen Schaffens“, wie Kurator Ulrich Wilmes sagt.
Die Ausstellung zeigt in den weitläufigen, meterhohen Räumen des Hauses der Kunst zahlreiche großflächige und ausschließlich schwarz-weiße Arbeiten, darunter ein eigens für die Schau geschaffenes Bodenkunstwerk mit sehr begrenzter Haltbarkeit. Nach dem Ende der Ausstellung am 22. Januar 2012 soll es zerstört werden.
Auch wenn es nur schwer nachvollziehbar ist: Seine Vorlagen für die abstrakten Werke findet Kelly im Alltag. Anregungen finde er in Fenstern, einer Toilette oder der Seine, wie die Titel seiner Arbeiten verraten. Zu sehen ist davon auf seinen Bildern allerdings nicht mehr viel. Sein Verfahren ist das der Übertragung von Altersbeobachtung in Abstraktes.
„Kelly löst das Motiv aus seinem Zusammenhang und zerlegt es in Fragmente“, steht an der Wand eines Ausstellungsraumes. Dadurch entstehen neu gestaltete Formen, „die keine wiedererkennbare Beziehung mehr zu den ursprünglichen Gegenständen haben“. Kellys langjähriger Assistent Jack Shear zitiert seinen Künstlerfreund mit seinem Lieblingssatz: „Schalte den Verstand aus und schaue allein mit den Augen - und alles wird abstrakt.“
Dass die 60 Zeichnungen und 24 großformatigen Lithographien von Pflanzen, die derzeit unter dem Titel „Plant Drawings“ in der rund zwei Kilometer entfernten Pinakothek der Moderne gezeigt werden, denselben Schöpfer haben, ist auf den ersten Blick kaum zu glauben. Auf den zweiten aber sind die Parallelen da. „Ich denke, das Zeichnen gibt mir das Gefühl, das, was ich betrachte, auch sehen zu können“, steht in englischer Sprache auf der weißen Wand. Unter dem Satz hängen Bleistift- und Federzeichnungen von Tulpen, Chrysanthemen, Gräsern, Sträuchern oder einer Sonnenblume ohne Blüte - vor allem die frühen Werke verraten Kellys Verehrung für Henri Matisse.
Der Chef der Staatlichen Graphischen Sammlung München, Michael Semff, würdigt Kelly als „Pionier der abstrakten Malerei“. Seine Bilder seien alles andere als naturalistisch und passten in keine Schublade. Auch hier gehe es immer wieder um das Herauslösen von Fragmenten aus dem ursprünglichen Zusammenhang. Die Ausstellung im Haus der Kunst nennt er „große Oper“, seine eigene „ein Kammermusikfestival“. Aus der Pinakothek zieht die Ausstellung nach dem 8. Januar 2012 weiter nach Dänemark und dann ins Metropolitan Museum in New York, wo weitere Zeichnungen hinzugefügt werden sollen.
Kelly hat an der Konzeption beider Ausstellungen selbst entscheidend mitgearbeitet. In seinem Atelier in den USA hat er dafür sogar ein kleines Modell des Hauses der Kunst, um zu überprüfen wo und wie seine Werke am besten wirken, wie Semff sagt. Zur Ausstellungseröffnung selbst konnte der 88-Jährige jedoch nicht kommen, weil er wegen einer Bronchitis nicht fliegen dürfe und eine tagelange Schiffsreise ihm zu langweilig sei. Für die Eröffnungen der beiden Ausstellungen am Donnerstagabend kündigte Semff aber Video-Schaltungen an - live in das Künstler-Atelier.