Fensterbilder im K20: Der Abschied vom Ausblick
Kreative Irritation und präziser Blick auf die Moderne: Das K20 zeigt Fensterbilder seit Matisse und Duchamp.
Düsseldorf. Man sollte den Kunsthistorikern nicht die Titel ihrer Ausstellungen überlassen, selbst Maria Müller-Schareck nicht, der Kuratorin der hochkarätigen Schau in der Kunstsammlung K 20 am Grabbeplatz. Sie nennt sie nämlich „Fresh Widow“.
Gewiss, das ist das Schlüsselwerk der Schau, stammt vom Kunst-Revolutionär Marcel Duchamp aus dem Jahr 1920 und wurde 1964 in zwölf Exemplaren kopiert. Er fertigte ein kleines türkisfarbenes „french window“, also eine französische Fenstertür, beklebte die Scheiben mit schwarzem Leder und nannte sein Werk „Fresh Widow“ (Frische Witwe). Im Deutschen verliert das Wortspiel allerdings an Witz.
Marion Ackermann, Leiterin der Kunstsammlung, erklärte am Donnerstag vor der Presse, worum es bei der Schau mit dem komplizierten Titel geht: um den „Abschied vom Ausblick“. Die Maler des 19. Jahrhunderts ließen den Blick in romantischer Sehnsuchts-Attitüde aus dem Fenster in die Ferne schweifen.
Duchamp ändert das, er verriegelt den Blick nach draußen. Seitdem arbeiten sich Künstler auf vielfältige Weise an dieser Schnittstelle zwischen Innen und Außen ab. Die Scheiben erblinden, spiegeln, zerspringen — die Welt ist nicht mehr eindeutig zu erkennen und abzubilden, Künstler wie Betrachter werden auf sich selbst zurückgeworfen, bleiben in kreativer Irritation zurück.
So präzis wie in den gut hundert Meisterwerken der 18 Künstler dieser Schau ist uns die Moderne selten entgegengetreten. Christo verhängt das Schaufenster der legendären Galerie Schmela mit Stoffen und Packpapier. Altmeister Robert Delaunay ersetzt es durch flirrende, zarte Farben aus Wachsstift, in denen sich die Formen auflösen und ein schimmerndes, kristallines, aufleuchtendes und verglimmendes Licht erzeugen.
Ein Höhepunkt ist René Magritte, der Filou der Szene, der allein mit zwölf Werken vertreten ist. In seinem Gemälde „Le soir qui tombe“ (Der Abend fällt herein) lockt er den Betrachter zum Blick durch eine zerbrochene Fensterscheibe in eine gemalte Landschaft, nutzt aber zugleich die Scherben am Boden vor dem Fenster für dasselbe, aber fragmentarische Motiv. Die Bruchstücke kann der Betrachter zumindest gedanklich zu seinem eigenen real-surrealen Bild zusammensetzen.
Unter den Avantgardekünstlern besticht Olafur Eliasson. Er bietet den Auftakt mit der Projektion eines Fensterkreuzes aus bloßen Lichtsignalen, die von der Wand scheinbar in Nebelschwaden abstrahlen. Der Hingucker aber ist seine Rauminstallation „Your roundabout movie“, in der der Däne aus Berlin den Komplementärkontrast der Farben zum Spektakel werden lässt.
Eine lichtdurchlässige Wand hängt von der Decke. Sie wird beiderseits von grünem und weißem Licht beschickt, wobei sich vor der Leinwand ein Bilderrahmen und dahinter ein dunkles Rechteck drehen.
Eliasson hat eine naturwissenschaftliche Ausbildung, er kennt sich in den Gesetzen der Optik aus, arbeitet mit Farbe und Gegenfarbe, den Schatten des Rahmens und der Scheibe. Der Betrachter erfährt lediglich die Ergebnisse. Er hat ein faszinierendes Raum-, Licht-und Farberlebnis vor sich, das sich je nach den rotierenden und ineinander schiebenden Schatten stetig ändert. So leicht, so heiter, so groß kann ein Fenster sein.
Jeff Walls „Blindes Fenster“ im Leuchtkasten, Eva Hesses Endzeitbilder kurz vor ihrem Tode, Henri Matisses Türöffnung als schwarzes Loch wenige Wochen nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs und Sabine Hornigs großformatige Aufnahmen von muffigen, leeren Schaufenstern in Berlin, in deren Scheiben sich die Umgebung spiegelt, runden eine zugleich absurde, lustige, surreale und reale Schau ab, die nichts mehr mit dem Auge als Fenster der Seele zu tun hat, wie es Leonardo da Vinci einst nannte.