Interview: Fotograf Thomas Struth - Wie im Labor von Dr. Mabuse
Der Fotograf Thomas Struth verlockt mit dem Dschungel und kritisiert die Technik-Gläubigkeit.
Düsseldorf. Thomas Struth (56) ist einer der bekanntesten Fotografen der Welt. Die Kunstsammlung NRW zeigt in seiner ersten europäischen Retrospektive eine brillante Auswahl von Straßenbildern, Museums-Serien und spektakulären High-Tech-Anlagen.
WZ: Herr Struth, Sie beginnen Ihre große Schau mit dem Dschungel. Warum sprechen Sie von Paradiesbildern?
Struth: Ich nenne sie so, damit der Betrachter nicht denkt, es gehe um Botanik. Es gibt aber noch einen Grund. Ich fing 1998, also knapp zehn Jahre nach dem Fall der Mauer, damit an. Man glaubte, der Kapitalismus bringe uns den paradiesischen Verhältnissen näher. Da dachte ich, ich mache einen kleinen theatralischen Scherz daraus und spreche von Pictures of Paradise.
WZ: Sie hängen daneben Stadtansichten von Lima. Wie haben Sie das wunderbare Farblicht erzeugt?
Struth: In Lima kommt um zehn Uhr eine Art Wolkendecke von den Anden, es herrscht ein bedeckter Himmel. Das ist ein ziemlich perfektes Licht. Und die Farbe, die spanische Kolonialfarbigkeit, gehört zu diesem Ort.
WZ: Im Kontrast dazu zeigen Sie die frühen Düsseldorfer Schwarz-Weiß-Bilder mit den Nachkriegsbauten, dem geflickten Boden und der strengen Zentralperspektive. Ist da etwas Nostalgie im Spiel? Sie waren ja damals noch Student.
Struth: Ja, ich war noch Student und habe anfangs 300 Straßen in Düsseldorf fotografiert. Für die Ausstellung ging ich die Kontaktabzüge noch einmal durch. Das ist quasi ein Geschenk an Düsseldorf, dass sie mit dabei sind.
WZ: Was reizt Sie an neuen Motiven aus Nord- und Südkorea?
Struth: Diese Zivilisations-Flutwelle, die in die asiatische Landschaft eingebrochen ist, lässt fast nichts übrig. Das sind Bilder der Verdrängung und Düsternis, mit der Petrochemie im Hintergrund. Es ist eine bedrohliche Vision, dass es überall so aussehen könnte. Obwohl Korea getrennt ist, haben die kommunistischen und die kapitalistischen Wohnblocks gewisse Ähnlichkeiten.
WZ: Worum geht es Ihnen in den neuen Technikbildern, wo sich der Blick im Gewirr der Apparaturen verliert.
Struth: Diese Bilder sind ein Abdruck von Leuten, die an den Fortschritt, die Technik und die Naturwissenschaften glauben. Das sind die Laboratorien von Doktor Mabuse. Ob sie uns glücklicher machen, bezweifle ich. In der Naturwissenschaft und Technik sind alle Leute schnell zu begeistern. In der Politik der Gemeinschaft ist das anders. In Kopenhagen, wo sich die Völker in der CO2-Resolution einigen wollten, gab es keinen Durchbruch, keinen Aufbruch. Nur Resignation, Sturheit, Uneinsichtigkeit. Aber wenn man 300 Meter lange Containerschiffe braucht, um alle Turnschuhe von China hierher zu bringen, dann werden sie gebaut.
WZ: Was geschieht denn in den faszinierenden Szenen aus den Max-Planck-Instituten?
Struth: In diesem Rhombus werden Wasserstoff-Atome in einen Kreislauf gebracht und auf hundert Millionen Grad erhitzt, um Atome zur Kollision zu zwingen und damit Energie zu erzeugen. Aber wäre es nicht besser, wir würden weniger Energie verbrauchen?
WZ: Dagegen gehören die Museumsbilder zur heilen Welt?
Struth: Da geht es darum, große Kunstwerke zu verlebendigen.
WZ: Ihr Dürer-Bild mit Selbstporträt wurde für über eine halbe Million Dollar versteigert. Ziehen jetzt die Galeriepreise nach?
Struth: Nein, in den Galerien kostet das teuerste Bild, die rote „Ölplattform“ aus der Ausstellung, 375 000 Euro. Technikbilder kosten zwischen 20 000 und 90 000 Euro. Die Preise differieren.