Kulturhauptstadt: Straßen als Kunstobjekt
Der Künstler Jochen Gerz nimmt mit zwei Projekten in vier Städten teil – er und seine Werke sind nicht unumstritten.
Düsseldorf. Es gibt eine Frage, die den Künstler Jochen Gerz umtreibt: "Kann man nicht mit der Kunst mehr machen, als Museen zu bestücken?" Er kann. "Künstler halten ihn gern für einen Literaten, sie vermissen Materialität und Form; Literaten halten ihn gern für einen Künstler, sie vermissen Inhalt, Ordnungskategorien, Stil", schrieb der Kölner Kunstkritiker Georg Jappe einmal in der "Zeit" über Gerz.
Mit zwei Projekten trägt der Künstler zur Kulturhauptstadt Europas 2010 bei. In Bochum entsteht der "Platz des Europäischen Versprechens", auf dem Menschen ihre Namen in Stein gravieren lassen. Symbolisch zu diesem Namen gehört ein Versprechen an Europa, das der Teilnehmer abgibt - es bleibt allerdings geheim, ein Gedanke. Bis Mitte Mai haben sich mehr als 10 000 Menschen gemeldet.
Zwei Kritik-Punkte gibt es dabei: Die Kosten und das Geheimnis des Versprechens. Einige hätten sich beschwert, dass ihr Name dann neben dem eines Nazis stehen könnte, weil keiner das Versprechen kennt. "Ja, das könnte sein", sagt Gerz dann. "Aber Kunst und Demokratie müssen das aushalten. Der Mensch ist hier beschützt mit seiner Meinung in einer sonst totalen, transparenten Informationsgesellschaft."
Der Künstler will dem Betrachter etwas abverlangen. "Die Öffentlichkeit ist unterfordert und wird nicht mehr mit Visionen und Utopien konfrontiert. In der Politik sitzen nur noch Klempner." Diese "Klempner" machen sich nun auch Sorgen um die Kosten - schließlich sitzt, Kulturhauptstadt hin oder her, das Geld in Bochum nicht eben locker. Gerz weißt daraufhin, dass die Finanzierung gesichert sei: "Die Kosten von etwa 3 Millionen Euro reichen aus, um 16 000 Namen auf den Platz zu bringen." Das Geld komme von der Stadt, von Sponsoren und aus privaten Spenden.
Sein zweites Projekt ist bislang weniger in der Öffentlichkeit, weil noch nicht sehr fortgeschritten. "2-3 Straßen" heißt es und soll im Jahr 2010 in Dortmund, Duisburg und Mülheim an der Ruhr stattfinden. Die Idee: Gerz stellt etwa 100 Menschen Wohnungen zur Verfügung, für die sie keine Miete bezahlen müssen. Im Gegenzug schreiben sie für Gerz auf, was sie erleben und was sie umtreibt.
Über 1400 mögliche Teilnehmer haben sich gemeldet, denen bereits die Mietverträge zugesandt wurden. In welchen Straßen das Projekt stattfinden wird, ist noch unklar. "Es handelt sich um Straßenzüge, die ohnehin saniert werden müssten."
Was ein bisschen nach "Big Brother" klingt, soll von "diskreten Gesetzen" bestimmt werden. "Es kommt keiner in die Küche der Bewohner, ohne dass sie es wissen." Es soll keine Künstler-Kolonie werden; die Teilnehmer bestimmen selbst, inwieweit Besucher an ihrem Leben teilhaben. Die Mieter sollen an präparierten Laptops arbeiten. Ihre Texte werden automatisch aneinandergefügt. Gerz möchte den Gesamttext, die Chronologie eines Jahres, bei einem Verlag publizieren.